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Bizarre Schlagzeilen, Verjüngungspillen und neue Unterrichtsfächer

Was für ein wunderbarer Nachmittag! Schreiben, singen, sonnen, spielen – so könnte man das Treffen der Gruppe schreibinteressierter Jugendlicher kurz und bündig zusammenfassen. Wir starteten mit Schlagzeilen. Aus mehreren Fotos wählte sich jeder eins aus.

Die Aufgabe bestand darin, zu der Abbildung eine aufmerksamkeitsheischende Schlagzeile (Clickbait) zu entwerfen und dazu eine Bildunterschrift zu verfassen. So sahen die Ergebnisse aus:

Danach diskutierten wir über Pro und Contra zum Thema Verjüngungspille. Anlass dafür war eine Folge des Podcasts „Moreno+1“. Dort beschreibt Maxim Leo, in welches moralische Dilemma sich eine Gesellschaft hineinmanövriert, wenn ein Lebensalter von 120, 150 oder noch mehr Jahren die Regel ist. Ein realistisches Szenario: »Es gibt die Optimisten unter den Wissenschaftlern, die sagen, dass es nur noch zehn Jahre dauern wird, bis wir so einen Durchbruch haben werden. Die Pessimisten sagen, es wird noch 50 Jahre dauern – von 200 Jahren spricht keiner. Kaum jemand bezweifelt, dass es möglich sein wird, das Leben der Menschen medizinisch enorm zu verlängern«, so Leo.

Die Meinungen in der Runde sind bewundernswert durchdacht und realistisch. Niemand würde ein solches Medikament gutheißen und es wurden viele Bedenken geäußert, welche Auswirkungen es auf die Gesellschaft hätte. Nach dem mündlichen Austausch konnten die Teilnehmer dieses Thema für einen längeren Text wählen oder einen Brief an Eltern schreiben, in dem die Einführung eines neuen Schulfachs angekündigt wird.

Liebe Eltern,

wir möchten Ihnen mitteilen, dass ab dem neuen Schuljahr ein neues Unterrichtsfach eingeführt wird: „Wandern“. Da dafür eine Stunde nicht ausreicht, werden pro Woche 12×45 Minuten dafür eingeplant. Um trotzdem die Vermittlung des restlichen Lernstoffes zu gewährleisten, kehren wir zum Samstag-Unterricht zurück, Bitte richten Sie sich darauf ein, dass Ihr Kind ab der nächsten Klassenstufe jeden Samstag ca. 27 km wandern muss. Das sind durchschnittlich 3 km/h. Wir haben uns aus folgenden Gründen dafür entschieden:

  1. Kinder bewegen sich zu wenig
  2. gesundheitliche Mängel nehmen zu
  3. Natur kommt im Leben der Kinder kaum noch vor
  4. die Kinder lernen ihre heimatliche Umgebung kennen
  5. während des Wanderns ist Zeit für Selbstreflexion
  6. Besinnung auf das wirklich Existentielle im Leben

Bitte statten Sie Ihr Kind mit der nötigen Ausrüstung aus: Funktionskleidung, Wanderschuhe, Regenschutz. Auch Kompass und Landkarten sind nötig. Smartphones sind nicht erlaubt.

Die Kinder werden morgens um 8 Uhr mit einem Bus transportiert und 25-30 km vom Heimatort entfernt ausgesetzt. Sie müssen dann selbstständig zurückfinden.

Liebe Eltern, Sie werden im Laufe der Zeit positive Veränderungen an Ihrem Kind bemerken. Außerdem haben Sie fast den kompletten Samstag mal Ruhe vor ihnen. Genießen Sie es! Nach einem Schuljahr wird entschieden, ob wir diese Maßnahme beibehalten.

Hochachtungsvoll! Die Schulleitung

Die darauf folgende Vorleserunde war durchaus beeindruckend.

Nun war die Luft raus. Eddie spielte für alle ein Lied auf seiner Gitarre und auch sonnen auf der Dachterrasse war angesagt.

Zum Abschluss wurde wie üblich noch Werwolf gespielt, was die Emotionen nochmal so richtig hochkochen ließ. Es war wieder schön mit euch!

Hilfe!

Mittlerweile bin ich gut vorbereitet auf die vielen jungen Leute, die am ersten Samstag des Monats nach Schließung der Bibliothek die Treppen nach oben in die Artothek strömen. In den letzten Monaten hatte sich das auf ca. 25 Schreibinteressierte eingepegelt. Wohlweislich hatte ich schon mit zusätzlichen Tischen die Tafel erweitert. Doch was sich dieses Mal abspielte, übertraf alles Gewesene. Kaum waren neue Stühle rangeschafft, kam wieder ein Schwung neuer Teilnehmer in den Raum. Obwohl einige vom harten Kern krank waren, saßen letztendlich 34 Jugendliche am Tisch. Wären die treuen Seelen gesund gewesen, hätte sich die Zahl auf 38 erhöht. Das ist für eine Schreibwerkstatt eigentlich viel zu viel und kaum noch vernünftig zu händeln. Aber ich kann doch niemanden wegschicken! Ich freue mich über jede und jeden, die zu uns finden. Was wäre die Alternative? Hat jemand eine Idee? Die Gruppe teilen geht nicht, wir haben keinen weiteren Raum mit vielen Tischen. 2x im Monat ist aus mehreren Gründen keine Option und wer garantiert, dass dann nicht alle 2x erscheinen? Ich habe keine Lösung, und irgendwie hat es ja dann auch funktioniert. Nur die Vorleserunden dauerten eben etwas länger und es war Geduld und Disziplin von allen gefordert.

Geschichten erfinden

Bei diesem Schreibspiel bekommt jeder Mitspieler ein Blatt Papier und einen Stift. Dann stellt der Spielleiter Fragen:

1.       Schreibe auf, wie eine weibliche Figur heißt.

2.       Schreibe auf, wie eine männliche Figur heißt.

3.       Wo treffen sich die beiden?

4.       Was sagt sie zu ihm?

5.       Was sagt er zu ihr?

6.       Wohin gehen die beiden?

7.       Was machen sie dort?

8.       Wer beobachtet sie?

9.       Wie endet die Szene?

Die Spieler schreiben den Antwortsatz auf. Dann knickt jeder Spieler sein Blatt so nach hinten um, dass sein Satz nicht mehr zu sehen ist, und gibt das Blatt an seinen Nachbarn weiter. Der Spielleiter stellt die nächste Frage. Die Spieler schreiben wieder ihre Antworten auf, knicken die Blätter um und reichen sie weiter. Sind alle Fragen beantwortet, werden die teils sehr witzigen Geschichten nacheinander vorgelesen. Hier ein paar Beispiele:

Ivy und der Hausmeister Krause treffen sich im Museum. Dort sagt sie zu ihm: „Du bist so glänzend wie ein Tontopf!“ Er antwortet: „Das können Sie mitessen, das sind Blasen.“ Danach gehen sie in den Märchenwald und teilen sich eine Flasche harten Alkohol. Ein Fuchs beobachtet sie dabei. Sie schauen sich verliebt an, doch plötzlich unterbricht sie eine laute Baustelle.

Maria und Dagobert Duck treffen sich in einer dunklen Gasse. „Deine Haare sind grässlich“, wirft sie ihm an den Kopf. Er erwidert: „Selber, selber, lachen alle Kälber! Lacht der ganze Hof und du bist doof.“ Gemeinsam gehen sie bis ans Ende der Welt und weinen dort zusammen. Die Polizei beobachtet sie, doch alles war nur ein Traum.

Persephone und Lyssander treffen sich am Tümpel. „Ich bin nicht schwanger“, offenbart sie ihm. Er weiß nichts anderes zu erwidern als „Lange nicht gesehen!“ Sie gehen zum Strand und feiern den Geburtstag mit einem Möhrenkuchen. Hades, der Herrscher der Unterwelt beobachtet sie dabei, bis sie alle drei sterben.

Vorgaben zu einer Geschichte komponieren

Die Teilnehmer wählten aus aus mehreren Angeboten aus: Alter, Ort, einen Gegenstand, ein Geheimnis. Eine Figur sollte situativ beschrieben werden mit einem Gegenstand, den sie immer bei sich trägt und mit einem Geheimnis, das sie bisher noch niemandem erzählt hatte. Hier zwei Beispiele:

Nach diesen Schreibimpulsen und dem Vorlesen der Ergebnisse war es dann schon 17 Uhr und die Luft raus. Aber für Werwolf hat sie noch gereicht:

Am meisten mag ich die Gespräche danach. Viele sind dann schon gegangen, aber es bleiben immer noch welche zum quatschen, untereinander oder mit mir. Es geht oft um ganz Persönliches, Probleme, Berufliches (viele sind ja schon erwachsen) oder um die Frage: Was wird aus der Schreibwerkstatt, wenn ich in den Ruhestand gehe? Doch bis dahin ist ja noch ein bisschen Zeit, vielleicht wir es eine Lösung geben.

Nun freuen wir uns auf unser Juni-Projektwochenende in Dessau, das wir mit Mitteln aus dem Jugenddemokratiefonds teilfinanzieren wollen. Inhaltlich bereitet sich die Gruppe darauf zum Literanauten-Wochenende Anfang Mai in Bad Hersfeld vor. Es bleibt spannend in jeder Hinsicht!

Wir haben Besuch

Es ist ein ungeschriebenes Gesetz – am ersten Samstag des Monats ist Schreibwerkstatt-Treffen, so auch am 03. Februar 2024.

Vorher heißt es dann – Einkaufen! Viel einkaufen! Denn 25 Jugendliche knabbern und trinken so einiges weg. Danach muss alles griffbereit auf der langen Tafel verteilt werden. Das kann schon mal ein bisschen dauern.

So nach und nach trudeln dann alle ein, bis dann wieder 25 Leute am Tisch sitzen. Und dabei fehlen heute etliche treue Seelen, die sonst immer erscheinen. Man darf es ja eigentlich nicht sagen, aber manchmal wird mir himmelangst! Wenn alle der regelmäßig Teilnehmenden komplett anwesend wären, würde der Raum nicht mehr ausreichen. Aber das wird nicht passieren, denn es kommt immer mal was dazwischen bei dem einen oder der anderen. Jedenfalls haben wir heute zwei Gäste: unsere Storytauschautorin Grit Poppe und der Zeitzeuge Detlef Jablonski. Er ist auch Liedermacher und hat seine Gitarre mitgebracht. Auf seiner Webseite findet sich sein Lebenslauf und eine Kurzbeschreibung seines Werdegangs HIER.
(Unter anderem war er auch in der Keibelstraße inhaftiert.)
Er hat auch ein Buch geschrieben. In diesem geht es hauptsächlich um seine Kindheit und Jugend sowie um die Fluchtversuche in den Westen (die er mit 15 und 18 unternommen hat, da er zu seiner Mutter wollte), um die Verhaftung und Knast-Geschichten.

Zunächst nutzen alle die Gelegenheit, Grit mit Fragen zum Storytausch zu überschütten. Denn es gibt immer wieder Unklarheiten, die hier ganz unkompliziert gelöst werden dank Grit. Es gilt: Jeder kann schreiben, was er möchte. Das einzig verbindende Element ist eine Burg, die in allen Geschichten vorkommen muss.

Danach erzählt Detlef seine bewegende Geschichte. Sie ist für alle interessant und neu, da im Geschichtsunterricht solche dramatischen Schicksale von Menschen in der DDR kaum bis gar keine Rolle spielen. Manche, die für den Storytausch den Zeitabschnitt DDR gewählt hatten, können das Gehörte gut in ihren Texten verarbeiten.

Da wir ja eine Schreibwerkstatt sind, gibts dann von Grit noch eine kleine Schreibanregung nach Raymond Queneau:

Die Angaben: „Eine junge Frau fährt mit einem Taxi zu einer Adresse, die ihr von einem Freund gegeben wurde, weil dort eine Party stattfinden soll. Als sie aussteigt, sieht sie jedoch nur eine alte Burg und keine Menschenseele. Der Fahrer, den sie schon bezahlt hat, fährt los, sie rennt ihm hinterher, aber er hält nicht an. Da bemerkt sie ein Kind in ärmlicher Kleidung, das auf sie zukommt. Es nimmt sie an die Hand und führt sie in die Burg, als würde sie dort erwartet werden.“

Die Teilnehmer sind nun aufgefordert, diese Grundgeschichte in verschiedensten Versionen wiederzugeben. Juliane entscheidet sich für eine Abwandlung aus der Sicht einer Adligen:

Mir fällt ein, dass wir die gleiche Übung schon mal vor acht Jahren gemacht haben. Wer möchte, kann die Ergebnisse von damals HIER nachlesen.

Bevor wir zum Abschluss die Werwölfe ihr Unwesen treiben lassen, wird noch ein Gruppenfoto gemacht:

Nachtrag vom 06.01.2024

Auch zum Jahresbeginn platzte zur Schreibwerkstatt die Artothek aus allen Nähten. Wir haben uns mit Berufen beschäftigt, die es (noch) nicht gibt und die Aufgabe bestand darin, eine Arbeitsplatzbeschreibung zu erstellen. Hier sind drei Beispiele zum Nachlesen:

Außerdem wurden folgende Berufe erfunden:

  • Ohrwurmwechsler
  • Radiergummi-Zerstörer
  • Problemlöser
  • professioneller Wasserschmecker
  • Frostblumenmaler
  • Stiftehaltbarkeitsprüferin
  • Umpalumpa
  • Weihnachtsbaumnadel-Auffänger
  • Schattenmaler
  • KI-Inspektor
  • professioneller Schlangensteher

Da bekommt man doch Lust, nochmal was Neues auszuprobieren, oder?

Es stand noch eine zweite Schreibaufgabe zur Wahl, für die sich Juliane entschied, nämlich einen Text mit möglichst vielen Lebensmittel-Wörtern zu verfassen. Es gibt unzählige davon, was vom hohen Stellenwert des Essens im Leben der Menschen zeugt:

Weitere Highlights im Januar

Direkt auf das Schreibwerkstatt-Wochenende folgten noch zwei Ereignisse: die Lesenacht an der M8, an der die Mark-Twain-Bibliothek als Leseort teilnahm mit sieben jungen Erwachsenen aus der Schreibwerkstatt und ein Lyrik-Workshop, organisiert und durchgeführt mit der Autorin Anna Hetzer und Asmus Trautsch in Kooperation mit dem Museum für Kommunikation. Fotos folgen hier in der Diashow:

Mund zu – Augen auf! Performativer Streifzug durch die Marzahner Promenade mit Susanne Soldan

02. September 2023. Ein Tag, mit dessen Programm man auch ein ganzes Wochenende füllen könnte. Drei Ereignisse locken die Menschen in die Mark-Twain-Bibliothek:

  • Schreibwerkstatt für Jugendliche wie jeden ersten Samstag im Monat
  • „Stadteinschreibungen“ – ein performativer Streifzug durch die Marzahner Promenade mit Susanne Sodan
  • Kultursommerfestival der Berliner Bibliotheken mit dem Theater Feuervogel und Sonny Thet

Letztere zeigen im Hof des Freizeitforums eine beeindruckende Fantasy-Show mit romantischer Musik, Nebel, tollen Kostümen, Stelzenlauf und dem verträumten Cello-Spiel von Sonny Thet.

Die Schreibwerkstattinteressierten treffen sich wie gewohnt zwei Etagen höher in der Artothek.

Mit am reichgedeckten Tisch sitzt unser Gast Susanne Soldan, die uns heute zu einem ungewöhnlichen Spaziergang über die Marzahner Promenade eingeladen hat. Zunächst aber gibts nach der Vorstellungsrunde erst einmal Geschenke für die Geburtstagskinder des vergangenen Monats. Es folgt eine sehr beliebte Aufwärmübung zur Lockerung der Synapsen in der kreativen Ecke unserer Köpfe: das Umknick-Schreibspiel.

WER | MACHT WAS | WANN | WO | MIT WEM | WARUM.

Dabei entstehen zwangsläufig ziemlich schräge Nonsens-Sätze, die aber auch oft sehr lustig sind und die ohnehin gelöste Stimmung beflügeln. Ein guter Zeitpunkt, um uns auf den Weg zu machen, die Marzahner Promenade mal mit anderen Augen, aus ungewohnter Perspektive und vor allem stumm neu zu entdecken. Nach einer kurzen Einweisung in die „Spielregeln“ durch Susanne gehts dann auch schon los. Der Fokus liegt auf Lücken jeglicher Art.

Wir strömen in verschiedene Richtungen aus, finden wieder zusammen, beobachten uns gegenseitig und werden beobachtet, mäandern hin und her, umarmen Bäume und klettern darauf rum, befühlen Erde, Pflanzen und Fassaden, pulen in Spalten und Ritzen, ohne zu wissen, was uns dort erwartet, setzen und legen uns ins Gras und auf Beton, kriechen unter Werbeschilder und Geländer, üben uns in fließenden und synchronen Bewegungen, schaukeln, verstecken und drehen uns. Alles ist möglich, anfängliche Befangenheit fällt von uns ab, wir werden mutiger, unbeschwerter, neugieriger, aufmerksamer, ruhiger, fühlen uns in der Gruppe zusammengehörig und beschützt. Wir spüren den Einfluss der Umgebung auf uns und lassen es zu, nehmen das Zusammenspiel von Elementen der Stadtlandschaft wahr, von Architektur, Grün- und Spielanlagen.

Seit Jahren laufe ich fast täglich hier entlang, doch noch nie ist mir aufgefallen, dass die Wörter auf den im Boden eingelassenen Bronzeplatten in einem Zusammenhang mit den sich drehenden Bänken stehen. Sitzt man kreisend darauf, macht plötzlich alles Sinn:

Ost | Süd | West | Nord

Trauer | Wut | Ruhe | Freude

Feuer | Wasser | Erde | Luft

Ich fühle mich auf wundersame Art geerdet, genordet und ruhig. Um mich herum ganz besondere Menschen, die sich wie ich auf dieses Experiment eingelassen haben und meine Augen durch ihre Bewegungen auf Dinge richten, die ich so noch nie gesehen habe. Das meiste macht plötzlich Sinn. Manches wirft Fragen auf. Warum gibt es auf dem Platz so eine Art Schienen, die in das Pflaster eingelassen sind? Was hat es mit den Blutspuren auf sich, die uns allen aufgefallen sind?

Auf den Gullideckeln sind Berliner Wahrzeichen abgebildet. Den Fernsehturm, die Siegessäule, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, das Olympiastadion, das Brandenburger Tor und den Reichstag habe ich erkannt, aber das Bundeskanzleramt nicht. Wieder was dazugelernt.

Erstaunlicherweise wundert sich kaum jemand über unser seltsames Verhalten, nur ein paar Männer am Tisch vor einer Kneipe beobachten uns mit gelassenem Interesse.

Schneller als gedacht ist eine Stunde vergangen und wir laufen, unseren Gedanken nachhängend zurück zur Bibliothek. Dort verarbeiten wir schreibend unsere Eindrücke. Die Ergebnisse sind beeindruckend:

Ganz herzlichen Dank an Susanne Soldan! Dieser Nachmittag hat uns alle an Erfahrungen reicher gemacht!

Wie immer geht auch heute die Schreibwerkstatt mit den Werwölfen in die letzte Runde. Die Stimmung ist gelöst und Eddie legt noch ein kleines Tänzchen hin:

Ganz besonders aber haben mich die Worte von Nele gerührt, die demnächst nach Darmstadt zieht und trotzdem weiterhin zu den Schreibtreffen kommen möchte:

Die Schreibwerkstatt ist wirklich eins der schönsten Dinge hier in Berlin, die ich kennengelernt habe und die mich innerlich zwingen werden zurückzukommen. So viele tolerante, nette, kreative, offene, lustige, coole Seelen alle an einem Ort (und ALLE sind toll! ALLE), das habe ich noch nie erlebt!

Schreibnacht mit Krimidinner

Jedes Jahr ist die Schreibnacht eines der beliebtesten Highlights des Jahres. Dieses Jahr sogar wieder mit Krimidinner, das von drei Teilnehmerinnen akribisch vorbereitet wurde. Die Story dahinter war ein Familiendrama, dass sich anlässlich einer Trauerfeier zum Gedenken des Familienoberhauptes abspielte.

Im Laufe des Spiels kamen viele unangenehme Familiengeheimnisse ans Tageslicht, so dass sich am Ende alle bis dahin vermeintlichen Wahrheiten als Lügen herausstellten. Eine sehr gut konstruierte Geschichte, in deren Rollen alle zu Höchstformen aufliefen.

Da ich im Laufe der Vorbereitungen irgendwann den Überblick verloren hatte, wer und wie viele eigentlich an der Nacht teilnehmen wollen, war ich selbst auf die Teilnehmerzahl gespannt. 33 Jugendliche schlugen sich letztendlich mit Vergnügen die Nacht um die Ohren. Von einer Kollegin und mir betreut, kamen auch alle anderen, die keine Rolle beim Krimidinner abbekommen hatten, auf ihre Kosten. Gaming, Schreiben, Brettspiele und eine Mitternachtslesung sorgten für eine abwechslungsreiche Nacht mit einem vielfältigen Buffet für den großen Hunger.

Manche verkrümelten sich auch lesend in unseren schönen Dachgarten.

Gegen 4 Uhr morgens kehrte dann etwas Ruhe ein und inspiriert von dem Geist der vielen Bücher schliefen einige auch tief und fest.

Am Sonntagmorgen gabs ein gemeinsames Frühstück, für das Bianca und ich am Samstag die Zutaten eingekauft hatten. Einige waren um diese Uhrzeit noch sehr wortkarg.

Es war wieder sehr inspirierend und alle freuen sich auf die nächste Übernachtung in der Bibliothek.

HIER gibts weitere Fotos.

Ein Phänomen wird zur Normalität

Langsam gewöhne ich mich an die Schreibtreffen mit TN-Zahl in Klassenstärke. Auch unser Junitreffen konnte erst beginnen, nachdem wir noch drei Tische hinzugeholt und alle einen Platz gefunden hatten. Eine Stunde vor Beginn traf sich die Gruppe Jugendlicher, die im Mai in Bad Hersfeld zum Treffen der Literanauten waren und die Gruppe, die Ende Juni / Anfang Juli nach Eisenhüttenstadt fährt.

Die Literanauten haben in Bad Hersfeld in verschiedenen Workshops Methoden vermittelt bekommen, die ihnen dabei helfen sollen, mit anderen Jugendlichen in Sachen Lesen, Erzählen, Schreiben und Videos zu interagieren. Sie haben sich also dort das Rüstzeug geholt für unsere Mission in Eisenhüttenstadt. Was hat es damit auf sich? Sehr gut zusammengefasst ist das in diesem rbb-Beitrag:

Platz der Jugend Eisenhüttenstadt | rbb (rbb-online.de)

Martin Maleschka hat bei uns angefragt, ob wir uns bei der Wiederbelebung dieses Lost Place einbringen wollen. Na klar wollen wir! Mit dem Handwerkszeug von Bad Hersfeld haben wir also bei unserem Treffen Möglichkeiten überlegt, wie wir uns einbringen können:

  • Bild-Kunst-Werkstatt: Mit Edding oder Farbe Texte / Sprüche an Wände oder auf
    Plakate schreiben
  • Erzählwerkstatt: Jugendliche von damals und heute erzählen uns ihre Geschichte
    oder Erlebnisse, die sie mit dem Platz verbinden. Wir erzählen die Geschichte neu.
  • Schreibwerkstatt: Wir schreiben Geschichten über Personen, erfinden neue
    Figuren und verorten diese am Platz der Jugend.
  • Film-Werkstatt: Wir erstellen einen Book-Trailer oder halten unsere Eindrücke in
    einem Kurzvideo fest. Foto-Idee: Wir suchen oder fertigen einen Rahmen an, der als
    Bilderrahmen dient. Durch ihn fotografieren wir den Platz.

Im Juli findet die Schreibwerkstatt also in Eisenhüttenstadt statt. Während unserer Besprechung trudelten dann die anderen ein und wir konnten um 14 Uhr pünktlich beginnen. Zunächst bewunderten wir gerahmte Gedichte von einigen aus unserer Runde, die momentan die Artothek schmücken.

Sie werden am Montag zur Lyrik-Lesung „Poets´ Corner“ dank der wundervollen grafischen Gestaltung durch unsere Azubis als lyrischer Rahmen dienen.

Mit dem beliebten Umknickspiel wärmten wir uns auf. Bei 25 TN dauert das schon mal eine ganze Weile, macht aber riesigen Spaß.

Danach widmeten wir uns drei verschiedenen Schreibaufgaben, darunter einer, die Cassy mitgebracht hatte.

Das waren vier Ausgangsszenarien, die man weiterdenken sollte. Hier sind zwei Beispiele:

Und natürlich – wie immer – gabs zum Schluss noch eine sehr lange Runde Werwolf.

Vic hat mir beim Aufräumen geholfen und um 20:30 Uhr war ich zu Hause. Erledigt, aber trotzdem beflügelt. Kein Wunder, denn ich habe vom Fanclub der „Renatisten“ erfahren!

Ein Phänomen

Es ist ein Phänomen – die Beliebtheit der Schreibwerkstatt ist ungebrochen und zieht wie ein Magnet monatlich neue schreibaffine, junge Menschen in die Mark-Twain-Bibliothek. Und das gänzlich ohne Werbung! Ehrlich gesagt, bin ich selbst total fasziniert von der Eigendynamik, die sich offenbar in den Jahren entwickelt hat. Ich komme kaum mit Namen lernen hinterher und mache dann auch mal Maria zur Paula. Was treibt die Jugendlichen jeden Monat in Scharen in die Bibliothek, um ihre Freizeit unter Anleitung einer alten Frau zu verbringen? Natürlich könnte man auch fragen: Was stimmt nicht mit mir, dass ich meine Wochenenden freiwillig mit Jugendlichen verbringe, die meine Kinder oder teilweise sogar meine Enkel sein könnten? Kurze Antwort: Es ist ein Geben und Nehmen. Ich liebe das Experimentieren mit Sprache, ermuntere dazu mit Schreibspielen und bin jedes Mal überwältigt, welch reflektierte, fantasievolle und kluge Texte dadurch entstehen. Am liebsten würde ich mit allen meine Erkenntnisse, Erfahrungen, Erlebnisse teilen, ihnen Welten eröffnen, die nicht in ihrem Fokus liegen. Ein bisschen ist mir das vielleicht gelungen. Die Jugendlichen lassen mir gegenüber Behutsamkeit und Milde walten. Sie mögen mich, glaube ich und sind dankbar für die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten zu treffen und sie selbst sein zu dürfen. Ich schätze sie alle sehr und sie geben mir Hoffnung, dass die Welt nicht verloren ist.

Wir haben heute zuerst auf Papier gechattet. Jeder hatte vor sich eine Meldung aus Politik und Gesellschaft zu liegen, zu der er einen Kommentar schreiben sollte. Dann wurde das Blatt weitergereicht und der Nächste hat entweder zur Meldung oder zum Kommentar einen Kommentar geschrieben. Die Ergebnisse waren so authentisch wie echte Facebook-Posts. Ziemlich schräg!

Die zweite Aufgabe bestand darin, zu einer Postkarte die Gedanken in einzelnen Wörtern auf kleine Zettel zu schreiben und diese anschließend zu einem Gedicht zu verbinden. Hier sind die Ergebnisse:

Die dritte Schreibaufgabe bestand darin, auf eine ausgewählte philosophische Lebensfrage mit Fragesätzen zu antworten. Das war eine sehr interessante Erfahrung, weil sich dadurch immer neue Gedankenfenster öffneten. Zur nächsten Schreibwerkstatt wollen wir dann auf diese Fragen antworten. Hier sind die Fragen:

Wie immer endete der Nachmittag mit Werwolf und langen Gesprächen danach. Schön wars!

Leipziger Buchmesse 2023

Mit zwei Reisebussen fuhren am 30. April ab Freizeitforum Marzahn 91 Lesebegeisterte zur Leipziger Buchmesse, organisiert von der Mark-Twain-Bibliothek. Darunter auch etliche junge Leute aus der Schreibwerkstatt Marzahn, deren Vorliebe überwiegend Halle 1 galt. Ihr Outfit hatten sie entsprechend angepasst. Die Liebe zu Büchern schlug sich bei einigen im Erwerb von regelrechten Büchertürmen nieder. Es war ein erlebnisreicher, wunderschöner Tag. Hoch lebe das Buch!

Wir sind in der Zeitung!

Zur letzten Schreibwerkstatt war der Journalist Philipp Hartmann zu Besuch, um mit einigen der Teilnehmer kleine Interviews zu führen. Daraus ist ein Artikel in der Berliner Woche erschienen, der sehr gut widerspiegelt, aus welchen Beweggründen die jungen Leute zur Schreibwerkstatt kommen.

https://www.berliner-woche.de/marzahn/c-kultur/kinder-und-jugendliche-sind-total-kreativ_a377273

Rekord gebrochen

In meinem letzten Beitrag über die November-Schreibwerkstatt hatte ich schwer beeindruckt von 24 Teilnehmern gesprochen – einer bis dahin nie erreichten Menge an Schreibinteressierten. Heute saßen 26 junge Autorinnen und Autoren an der großen Tafel in der Artothek der Mark-Twain-Bibliothek, im Prinzip eine komplette Schulklasse, nur dass die Altersspanne sich zwischen 12 und 38 bewegte. Es ist immer wieder faszinierend, wie gut der respektvolle Umgang miteinander funktioniert!

Heute hatten wir alle unsere entstandenen Texte unter das Motto „Sehnsucht“ gestellt. Grund dafür ist ein überregionales, gemeinsames Projekt deutschsprachiger Bibliotheken. Jeder Mensch kennt das Gefühl der Sehnsucht und zu Beginn eines neuen Jahres ist der beste Zeitpunkt, diesen Hoffnungen und Erwartungen auf Neues entgegen zu spüren. Bücher und Begegnungen transportieren Sehnsucht, deshalb liegt für Bibliotheken nahe, die Frage nach der Sehnsucht in dieser ganz besonderen Zeit aufzugreifen.
Mit dem Slogan „Sehnsucht ist …“ starten jetzt zahlreiche Bibliotheken in ihr Programm 2023. Die teilnehmenden Bibliotheken entwickelten gemeinsam Ideen: Von Flaschenpost über Feldpost bis zum Speed Dating am Valentinstag, kreativen Sehnsuchts-Workshops, Lesungen, Silent Reading-Partys und vielem anderen reicht die üppige Vielfalt des Programms.

Der Beitrag der Mark-Twain-Bibliothek wird sein:

  • Ausstellung im Juli / August: “Feldpost – Zeugnisse der Sehnsucht” mit Originalbriefen, Postkarten und Malerei von Angehörigen, dazu eine Lesung oder Vortrag zum Thema
  • Erstellen eines Lesezeichens mit dem Sehnsucht-Motiv auf der Vorderseite. Die Rückseite bietet den Leserinnen und Lesern Gelegenheit, ihre Assoziationen zum Thema aufzuschreiben. Das Lesezeichen wird in jedes neue Buch gelegt, so dass es mit ausgeliehen wird. Nach Rückgabe werden beschriftete Lesezeichen entnommen und in einer Broschüre präsentiert.
  • Wenn es passt, werden die Aktivitäten der Bibliothek unter das Sehnsuchts-Motto gestellt (Schreibwerkstätten, Bastelnachmittage, Literaturstammtisch, Musikveranstaltungen)November 2023: Kreativnacht für Erwachsene zum Thema “Sehnsucht”
  • Podcast zum Thema “Sehnsucht”

So haben wir zunächst ein Akrostichon zu Sehnsucht geschrieben und danach ein Elfchen. Nach diesen Aufwärmübungen war es Zeit für einen längeren, individuellen Text, wieder inspiriert von Überlegungen, was Sehnsucht für uns bedeutet. Dabei entstanden sehr tiefsinnige, berührende Geschichten, Balladen und Interpretationen, die alle später in der geplanten Broschüre wiederzufinden sind. Es erfordert viel Vertrauen in die Gruppe, sein tiefstes Inneres offenzulegen, gerade bei solch einem Thema. Viele haben das Ergebnis vorgelesen, es wurde behutsam diskutiert und Anerkennung ausgesprochen.

Zur Schreibwerkstatt gehört auch immer eine Vorleserunde, in der zuhause Geschriebenes vorgestellt werden kann. Auffällig war dabei, dass sich fast alle Texte mit der Klimaproblematik befassten, ein Thema, dass viele umtreibt.

Bei so vielen Teilnehmern vergeht die Zeit wie im Flug, so war es dann schon 18:45 Uhr, als die traditionelle Werwolf-Jagd begann und erfolgreich für die Dorfbewohner endete. Ein sehr bereichernder Nachmittag!