8. Storytausch mit Dietmar Wischmeyer

Wir waren und sind total glücklich, dass Dietmar Wischmeyer, das achte Storytausch-Projekt gemeinsam mit der Schreibwerkstatt gestaltet hat.

Mittlerweile ist der Storytausch so beliebt, dass die Zahl der Teilnehmer von Jahr zu Jahr wächst. Die Zusage Dietmar Wischmeyers hat natürlich auch großes Aufsehen erregt und so waren wir nun bei 20 Schreibwütigen angelangt. Deswegen war es ratsam, die Strategie von Alf Ator zu wiederholen. Es musste ein Szenario geben, an dem alle 20 Teilnehmer gleichzeitig schreiben konnten.

Anfang Dezember saßen die Teilnehmer zusammen und diskutierten intensiv über Vorgehensweise und Inhalt der Geschichte. Als Handlungsort wurde in der Diskussion ein Gefängnis / Psychiatrie / Anstalt oder alles in einem favorisiert.. Weiterhin kam ein anderer Schauplatz ins Spiel, ähnlich dem Wincester-House. https://www.erkunde-die-welt.de/2016/02/05/winchester-mystery-house/ 

Diese Ideen ließen wir Dietmar Wischmeyer zukommen. Er sympathisierte mit der Psychiatrie-Idee und entwickelte darauf aufbauend folgendes Anfangsszenario:

Ort: eine „Gated Community“, die künstliche Insel „Paradise Island“. Hier gibt es keines der Probleme, die einem Mitglied moderner Großstädte alltäglich begegnen (Einbruch, Raub, Drogenkriminalität, Enge, Ekel…)  Dort hingegen ist alles vorhanden: gesunde Ernährung, Entertainment, Sicherheit, exklusive Behandlung bei Krankheit … ein Leben ohne Sorgen in subtropischem Klima. Die Reichen aus aller Welt zieht es dorthin. Nach außen hin ist das „Paradise Island“ eine psychiatrische Bewahranstalt für unheilbar verrückte, allerdings vermögende Patienten. Das dient dazu, nicht den Neid der Bevölkerung auf das „Paradies“ zu wecken, um Überfälle, Demonstrationen oder politische Sanktionen zu vermeiden.

Die 20 Teilnehmer bekamen einen Brief des Leiters von Paradise Island zugeschickt.

Erster Brief an die Auserwählten 

Darin stand, dass sie auf Verfügung des Stifters der Insel namens Egon Must per Zufallsprinzip auserwählt wurden, den Rest ihres Lebens dort verbringen zu dürfen. Sie wählten nun eine Figur, die sie sein wollen, dabei hatten sie völlig freie Hand. Sie wussten allerdings schon, dass es sich um eine Bewerbung für ein Leben auf einer Luxusinsel handelt. Mehr allerdings nicht. Bis Ende Februar hatten sie Zeit, in 10 Episoden nachweisen, dass sie verrückt genug sind, um dort integriert werden zu können. 

Zweiter Brief an die Bewerber für Paradise Island 

Darin wurden sie aufgefordert, ein ihnen zugesandtes, anonymisiertes Bewerberschreiben hinsichtlich vorgegebener Kriterien auf seine Glaubwürdigkeit zu überprüfen. Das heißt, jetzt war Ellenbogenmentalität gefragt! Je besser man den anderen beurteilte, um so mehr sanken die eigenen Chancen. Das war neu und ungewohnt, für Egoismus belohnt zu werden! Manche liefen dabei zu Höchstform auf, anderen fiel es sichtlich schwer, so dass sich in ihre Bewertungen lobende Worte für den Text des Gegners einschlichen. Alle 20 Analysen wurden dann der Insel-Direktion zugeschickt. Vier Wochen später erreichte die Teilnehmer der

Dritte Brief an die Bewerber für Paradise Island

Zusammen mit diesem bekamen sie zugeschickt:

  1. das eigene Bewerbungsschreiben aus der ersten Runde für Paradise Island
  2. die Beurteilung, die einer der Mitbewerber über dieses Bewerbungsschreiben für Paradise Island verfasst hat
  3. die Beurteilung, die sie über das Bewerbungsschreiben eines ihrer Mitbewerber verfasst hatten
Alles natürlich anonymisiert.
Jetzt waren die Teilnehmer wieder an der Reihe, dem Paradise-Island-Team (Wischmeyer) zu antworten und einzuschätzen, welcher der zwei Gruppen sie das Team wohl zugeordnet hat​. Als Premium-Gast im goldenen Käfig oder als Security mit geringerem Standard, aber mehr Freiheiten. Wichtig war, dass sie sich erstens in der von ihnen eingenommenen Rolle analysieren und dann auch noch darüber nachdenken sollten, wie sie vom Insel-Team auf der Basis der bisherigen Briefe eingeschätzt wurden. Diese Vermutung sollten sie begründen.
Lagen sie falsch, waren sie raus aus dem Spiel, wurde ihnen suggeriert.
Eine Aufgabe mit hohem, ungewohntem Schwierigkeitsgrad! In der WhatsApp-Gruppe kurbelte das auch die Diskussion an:

Ich bin nach dem Lesen der Einschätzung meines Partners sehr deprimiert.😥Ich habe eine Frage. Wenn man sich falsch einschätzt ist man raus. Ist man dann wirklich komplett raus oder wird einem nur die Chance genommen, ein Bewohner, anstatt ein Arbeiter zu werden?
Ich denke das ganze ist ein Mindgame. Aber schon das hier zu diskutieren höhlt die Wirkung des ganzen aus.🤔

Ich denke, es ist wie bei einem Fußballspiel. Am Ende gewinnt oder verliert man. Man bleibt aber so oder so 90 Minuten auf dem Spielfeld, oder?

Es könnte nur ein Druckmittel sein, letztendlich sind wir alle Mitwisser. Eventuell ist aber unser Charakter dann wirklich raus. Aber das mit dem deprimiert verstehe ich. Bei mir war es eher Missverstandenheit und Genervtheit über die Kurzsichtigkeit des Anderen.

Wie gesagt, das jetzt miteinander zu erörtern nimmt dem ganzen glaube ich die Würze. Wenn ich weiß, dass ich nichts zu verlieren habe (meine Teilnahme an Projekt) handle ich ja anders als wenn ich glaube, rausfliegen zu können. Das mit dem Missverstanden hatte ich auch zum Teil.

Stimmt irgendwie. Andererseits bleiben wir ja so oder so im Unwissenden was nun stimmt/passieren wird.

Renate Zimmermann: Ihr seid raus, wenn ihr falsch liegt mit eurer Vermutung, zu welcher der beiden Gruppen euch das Inselteam zugeordnet hat. Um richtig zu tippen, müsst ihr euch selbst vor allem auch mit den Augen des Inselteams betrachten. Das ist am schwersten: Wie schätzen mich andere ein? Und nicht vergessen: es geht nicht um euch persönlich, sondern um den Verrückten, dessen Rolle ihr eingenommen habt.

Das hat mir eine schlaflose Nacht beschert 😀

Und dann kam der Letzte Brief an die Bewerber für Paradise Island, der mit wenigen Worten alles wieder gerade rückte.

Storytauschtradition mit neuem Schwung und Wischmeyerschem  Biss!

Aber lesen Sie selbst (zur Gesamtversion).

 

 

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Am 15.12.2018 fand die Abschlusslesung mit Dietmar Wischmeyer und den Jugendlichen statt. Der Fotograf Frank Ludwig hat die Atmosphäre in wunderbaren Schnappschüssen eingefangen:

Zum Fotoalbum (© Frank Ludwig)