Hermannsweg: 167 Kilometer durch den Teutoburger Wald

Fotoalbum, das täglich mit neuen Bildern gefüttert wird

Freitag, 13.09.2019

Nachdem ich meinen 60. Geburtstag unbeschadet überstanden habe, kann ich mich nun mit meiner ganzen Energie der diesjährigen Langstreckenwanderung widmen, die uns durch den Teutoburger Wald auf den Spuren von Hermann dem Cherusker, auch bekannt als Arminius (Varusschlacht 9 n. Chr.) wandeln lässt. Er gilt als einer der schönsten Höhenwege Deutschlands und verläuft über den Kamm des Teutoburger Waldes. Zugegebenermaßen bin ich nicht besonders gut vertraut mit diesem Abschnitt der deutschen Geschichte und meine Mitwanderer vermutlich auch nicht. Aber wir sind wissbegierig und werden auf dem Weg bestimmt viel dazulernen.

Der Start in Berlin verlief heute morgen etwas holprig. Der erste Bus kam nicht, der zweite auch nicht, die U-Bahn ließen wir wegfahren, weil wir nicht mitbekamen, dass Pendelverkehr war, aber 10 Minuten vor Abfahrt des ICE nach Köln standen wir am Bahnsteig. Umsteigen in Hannover und schon waren wir in Rheine. Nach dem Einchecken im Hotel hatten wir den ganzen Nachmittag Gelegenheit, die Stadt bis in den letzten Winkel zu erforschen, jeder auf seine Art. Gerd und ich aufs Geradewohl, Kerstin straff organisiert in Geocacher-Manier. Bevor wir ausschwärmten, suchten wir den Beginn des Hermannsweges auf zum Fotoshooting:

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Wir ließen uns treiben, kamen an einem alterwürdigen Gymnasium vorbei mit einem 1934 erbauten Langemarck-Denkmal, das trotz Erläuterungstafeln einen ersten schalen Geschmack hinterließ.

Gleich nebenan steht eine monumentale Kirche, die ebenfalls einen finsteren Eindruck erweckte. Irgendwie waren wir froh, an der Ems ein bisschen Idylle einfangen zu können, bevor es weiterging mit der unfreiwilligen, nationalsozialistischen Spurensuche. An der Emsmühle entdeckten wir das Wandbild eines Sämanns mit einem fast unkenntlich gemachten Spruch darunter, der unseren Ehrgeiz weckte, ihn zu entziffern. Gerd hat es schließlich rausgekriegt: “Die Sicherheit des täglichen Brotes ist die Voraussetzung für die Freiheit eines Volkes.” Der Namenszug darunter war aber noch schwerer zu entziffern. Google hats uns dann verraten: Der Ausspruch stammte von Hitler.

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Die Stadt an der Ems hat insgesamt eine merkwürdige Ausstrahlung. Vieles ist vorbildlich, z.B. Barrierefreiheit und Ruheplätze, aber es fehlt irgendwie die Verbundenheit oder ein Heimatgefühl. Im 2. Weltkrieg gab es mehrere Bombardements, die offenbar große Teile der Innenstadt zerstört hatten, wodurch es auch kein historisches Zentrum mehr gibt. Auch Kerstin wurde auf ihre Art fündig und traf mit uns am Nachmittag wieder zusammen. Wir gingen Kaffee trinken und pilgerten danach noch zu einem riesigen Dom, der St.-Antonius-Basilika, die aus der Nähe betrachtet geradezu monströs aus uns wirkte, uns aber trotzdem sehr beeindruckte:

Der Abend fand einen stimmungsvollen Ausklang zum Stadtfest vor der Bühne auf dem Markt mit der perfekten Lebenslust-Musik. Wir mischten uns noch ein bisschen unters Volk, tranken ein Gläschen Wein, wackelten mit den Hüften und freuten uns des Lebens. Der perfekte Start in eine hoffentlich erlebnisreiche und erholsame Wanderwoche!

Samstag, 14.09.2019 (1. Etappe Rheine – Hörstel)

Während wir gestern so müde waren, als hätten wir den Weg schon hinter uns, starten wir heute ausgeschlafen und hochmotiviert in den Tag, der mit einem leckeren Frühstück beginnt, das alle unsere Wünsche erfüllt. Die Raucher ziehen sich mit Kaffeetasse und Zigarette auf die Brücke über die Ems zurück,

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während ich beim Milchkaffee schon wieder am Handy hänge und mich mit so überaus wichtigen Dingen wie Facebook, WhatsApp und Mails beschäftige. Es wird dann doch 9:15 Uhr, bis wir bei herrlichstem Sonnenschein zur ersten Etappe aufbrechen, die uns 24 km bis Hörstel führen wird. Mit unseren Wanderstöcken fallen wir auf und scheinen auf magische Weise gute Laune zu erzeugen, denn wir werden von fast allen uns entgegenkommenden Leuten unerwartet fröhlich gegrüßt und mit netten Worten bedacht. Dieses freundliche Geleit aus dem Ort lässt mich mein harsches Urteil von gestern revidieren und Rheine sowie seine Bewohner in einem milderen Licht erscheinen.

Wir wandern durch eine bis zum letzten Kieselstein durchgestylte Einfamilienhaussiedlung und müssen dann doch über einen Maulwurf schmunzeln, den diese perfekte Ordnung überhaupt nicht zu beeindrucken scheint.

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Irgendwann verschwinden wir dann endlich im Wald oder passieren Mais- und Kartoffeläcker. Steigungen haben wir heute keine zu befürchten. Die Etappe ist relativ easy zu bewältigen und dient uns als Warm-Up, zumindest so lange, wie Gerds Knie mitspielt. Das Wetter tut sein Übriges, so dass wir rundum zufrieden sind.

Und dann kommen sie – die motorisierten Segelflugzeuge und ziehen ihre Bahnen über unseren Köpfen. Eins ums andere dreht seine Kreise. Das mag ja ganz nett sein, aber wenn man zwei Stunden lang die Motoren hört, geht’s einem schon ein bisschen auf die Nerven. Wir kommen an geradezu klinisch reinen Gehöften vorbei, Kerstin durchpflügt den Wald nach kleinen Kostbarkeiten und so absolvieren wir Kilometer um Kilometer, gefolgt von einer Pause auf einer Bank am Hinterdingsweg. Meine schon auf früheren Wanderungen vergeblichen Versuche, mich unbemerkt ins Gebüsch zurückzuziehen, setzen sich heute auf wundersame Weise fort. Die ganze Zeit ist uns fast niemand begegnet, doch genau jetzt – kaum hocke ich hinterm Baum – setzt ein reges Begängnis ein. Wanderer, eine ganze Schar Radfahrer und sogar Autos patroullieren an uns vorbei, so dass Kerstin in haltloses Gelächter ausbricht. Ich muss mich damit wohl abfinden, dass da wohl magische Kräfte am Werk sind.

Weiter geht’s. Während Kerstin nochmal 150 Meter zurückläuft, weil sie an einem Cache vorbeigelaufen ist, laufen wir langsam weiter, vorbei an riesigen Schirmpilzen, bis uns ein großes, grünes Kreuz auf einem Acker auffällt.

Daran hängt ein Infoblatt, auf dem der Besitzer des Feldes das Agrarpaket anprangert, das unsere Bundesregierung demnächst verabschieden möchte. Wenn das so kommen sollte, würde das ein regionales Höfesterben und Import von Lebensmitteln aus anderen Ländern zur Folge haben. Eine sehr nachdenklich stimmende Information.

Wir nähern uns dem Ackerbürgerstädtchen Bevergern in der westfälischen Region Tecklenburger Land. Ein reizender Ort, der mit originellen Bau- und Kunstwerken den Wanderer bei Laune und am Staunen hält:

Am Klosterhof lockt und eine Einladung zu Kaffee und Kuchen. Wir lassen uns nieder und bekommen den leckersten Kuchen, den ich seit langem gegessen habe:

Wir machen offenbar solche seligen Gesichter, dass am Nachbartisch gleich dieselbe Bestellung aufgegeben wird. Wir treffen zwei Wanderer, die die gleiche Tour wie wir laufen, allerdings mit Gepäck und Teddy obenauf. Sie erzählen, dass ihr Hotel sie rauskomplimentiert hat, weil die Zimmer anderweitig benötigt werden. Auch nicht schlecht! Wir werden ihnen bestimmt noch öfter begegnen.

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In der Annahme, dass es nun nicht mehr weit ist, stiefeln wir weiter Richtung Hörstel, wo sich unser Hotel für heute befindet. Eine Schleuse zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich, in der sich gerade ein Schiff befindet, das rechts und links ca. 2 cm zum Navigieren hat. Aber es funktioniert.

Noch mal durch den Wald, und dann passierts – wir sind etwas verwirrt und unschlüssig. Unser Hotel ist laut Unterlagen in Hörstel. Dieser Ort liegt aber schon hinter uns. Sind wir daran vorbeigelaufen? Ich schmeiße Google Maps an, gebe das Hotel ein und bekomme einen Routenvorschlag, der sich stark vom Hermannsweg entfernt und zudem auch noch weiter von Hörstel. Was machen wir jetzt? Straße laufen? Macht keinen Spaß und Kerstin hat außerdem noch einiges zu erledigen. Also rufe ich im Hotel an und erfahre, dass es sich gar nicht in Hörstel befindet, sondern im eingemeindeten Riesenbeck. Jetzt löst sich der Knoten in unseren Köpfen, wir verlassen die Straße und flüchten wieder auf den Kammweg und folgen ihm bis zur Schönen Aussicht:

Von hier aus sehen wir unseren Zielort greifbar nahe und beginnen den Abstieg. Vom noch relativ jungen Wirt überaus herzlich empfangen, sind wir erst mal platt über dessen mit Herzlichkeit gewürzte Marketingstrategie. Dem Gast wird es so einfach wie möglich gemacht. Man kann sich wie zu Hause fühlen, an alle Kühlschränke rangehen, in der Kissenbar Nachschub holen, Kosmetik-Artikel nehmen, das WLAN hat kein Passwort, alles ist so ausgerichtet, dass man sich sofort wohl und frei fühlt. An einer Tafel im Flur steht:

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Es gibt  keine eigene Küche, dafür hat der Besitzer aber ein Netzwerk gebildet mit den Restaurants im Ort, die er seinen Gästen empfiehlt und die dort deswegen z.B. einen Schnaps umsonst bekommen.

Vom Italienischen Restaurant rückgekehrt, gehen wir alle nochmal runter in das “Wohnzimmer”, nehmen uns ein Gläschen Wein und paffen unsere Zigarillos. Dieser Brauch hat sich irgendwann eingeschlichen und wir halten gerne daran fest.

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Sonntag, 15.09.2019 (2. Etappe Hörstel – Tecklenburg)

Wie nicht anders zu erwarten, ist auch das Frühstück einzigartig. Sehr gemütliches Ambiente im Kaminzimmer, freundliche Bedienung, das Rührei wird vor unseren Augen frisch zubereitet. Unser Lunchpaket dürfen wir uns selbst zusammenstellen, was natürlich viel besser ist, weil dann nur Dinge drin sind, die man auch isst.

So starten wir gut gerüstet in den Tag. Die Sonne scheint, die Etappe ist heute überschaubar und Kerstin hat viel zu tun unterwegs. Der Weg zurück auf den Hermannsweg ist sehr unterhaltsam. Ich entdecke eine Gedenktafel, auf der ein Gedicht in der hiesigen Mundart steht und verstehe kein Wort:

Als nächstes kommt eine Kapelle, in deren Inneren ein aufgeschlagenes Buch mit Namen von Vermissten und Gefallenen des 2.Weltkrieges  liegt:

Während ich Geschichtsforschung betreibe, ist Kerstin schon mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Man könnte denken, sie würde die Brücke nach Gefahrengut untersuchen oder prüfen, ob alle Schraubverbindungen noch dem Sicherheitsstandard entsprechen. Aber natürlich ist sie schon wieder auf der Suche nach Döschen und Schachteln.

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Schließlich stehen wir an einer Treppe, die uns wieder nach oben auf den Hermannsweg führt. Drehrumbum hat sofort wieder Kontakt zu Einheimischen gesucht und hat offenbar keine Lust, die 256 Stufen in Angriff zu nehmen.

Gerd und ich laufen schon mal los und werden Kerstin die nächsten 3 Stunden auch nicht wieder zu Gesicht bekommen. Die Liste ihrer Suchaufgaben ist lang. Da wir aber aufgrund Gerds kaputtem Knie ein gemächliches Tempo vorlegen, wird sie keine Schwierigkeiten haben, uns wieder einzuholen. Der Kammweg ist ungewöhnlich stark bevölkert von Menschen mit und ohne Hunden. Natürlich ist der sonnige Herbstsonntag ein Grund dafür, aber noch nie haben wir auf unseren Wanderungen an Wochenenden so ein reges Begängnis erlebt. Es ist schon fast ein bisschen anstrengend, allein schon wegen der Grüßerei. Aber das ist noch gar nichts im Vergleich zu dem, was uns am nächsten Wegehighlight – den Dörenther Klippen – erwartet. Menschenmassen prozessieren durch den Wald, vor allem im Umkreis der Almhütte. An den Klippen selbst ist ebenfalls reges Begängnis durch Ausflügler und viele Kletterer. Landschaftlich kommt man sich vor wie im Harz.

Im Prinzip sind im Teutoburger Wald im Vergleich zu anderen Landstrichen alle geologischen Formen vertreten. Felsig wie im Gebirge, sandig wie in Brandenburg, Klippen wie an der Küste, Buchenwälder wie in Thüringen. Also sehr abwechslungsreich. Baumschönheiten wie diese sind keine Seltenheit:

Weiter gehts, immer durch den sonnendurchfluteten Wald, vorbei an mehreren Kriegsgräberstätten. Das Auge ist ständig auf der Suche nach dem H, das die beruhigende Gewissheit vermittelt, auf dem richtigen Weg zu sein. Wir trotten so vor uns hin, jeder hängt seinen Gedanken nach oder genießt das Ausbleiben derselben. Dann ab und zu die kleine Schrecksekunde: Sind wir noch auf dem richtigen Weg? Einmal verlaufen wir uns, weil wir anderen Wanderern hinterherlaufen, die aber auch irgendwann ihren Fehler bemerken. Aber ansonsten ist es ein sehr angenehmer Weg, auch für nicht trainierte Menschen.

Zwischendurch treffen wir immer wieder unsere “Mitwanderer”, die mit ihren Teddys unterwegs sind. Deren Fokus liegt eher auf Einkehrmöglichkeiten. Natürlich sind wir schwer beleidigt, als sie uns als Genusswanderer bezeichnen, also solche, die durch die Gegend schlendern und jede körperliche Herausforderung scheuen. Diese Schmach können wir nicht auf uns sitzen lassen und erreichen dann auch zuerst das Etappenziel. Ätsch! Aber vorher passieren wir noch den Alten Bahnhof Brochterbeck, wo wir eine Rast einlegen und auf Kerstin warten. Wir verzehren unseren Proviant unter einem wieder sehr imposanten Baum und nehmen danach die letzten 5 km in Angriff.

Auch hier gibt es natürlich für Geocacher viel zu tun. Zu dumm, dass genau an einer solchen Stelle zwei Frauen sitzen, die scheinbar auch nicht vorhaben, in der nächsten halben Stunde wieder aufzustehen. Also kriecht Kerstin kurzerhand direkt vor ihnen unter die Bank und holt eine Schachtel hervor, was die beiden auch nicht aus der Fassung zu bringen vermag.

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Das letzte Stück führt noch einmal einen schönen Waldweg entlang, gesäumt von einer Stützmauer, die früher durch eine Heckenbepflanzung die anschließenden Felder vor dem Abschwemmen bewahrt hat.

Auf einer Bank mit wunderbarem Ausblick in die Landschaft legen wir nochmal eine Pause ein. Von hier aus sieht man auch das Kohlekraftwerk Ibbenbühren, was den Blick ein bisschen trübt. Gerne würde ich ein schönes Foto machen mit einer Blume im Vordergrund, aber hier blüht nichts mehr. Da muss ich improvisieren:

Kurze Zeit darauf erreichen wir Tecklenburg. Unser Hotel ist gleich am Ortseingang und leider mit dem Service nicht zu vergleichen mit dem von gestern. Die Dame von der Rezeption ist zeitgleich auch Bedienung im Café, deswegen müssen wir ein bisschen warten. Wir bekommen den Schlüssel ausgehändigt mit Erläuterung, wie dieser funktioniert, stellen uns aber trotzdem so blöd an, dass wir eine junge Frau, die hier angestellt ist und eines der Zimmer bewohnt, mit unseren vergeblichen Versuchen offenbar sogar wecken. Aber sie zeigt uns Landeiern aus Berlin, wie es geht. Es ist ganz einfach! Gerd ist froh, nun Feierabend zu haben. Kerstin und ich schauen uns aber noch das sehr originelle Städtchen Tecklenburg an, das sich in einer sehr ungewöhnlichen Lage an den Hang schmiegt und durch einen unerwarteten Zugang von einem Parkplatz aus zu betreten ist. Wir wundern uns schon über die Menschenmassen, die auch hier durch die Gässchen wabern und erfahren, dass auf der hiesigen Freilichtbühne heute ein Michael-Jackson-Revival stattfindet. Wir sehen dann auch sogar einige Leute, die ein entsprechendes Outfit angelegt haben:

Sehr schön hier. Wir suchen uns noch ein Restaurant, in dem wir Abendessen können. Gerd kommt nach und wir wandern dann gemeinsam zurück ins Hotel. Meine Versuche, den Bericht zu schreiben, laufen ins Leere, ich schlafe nach jedem Wort ein. Deswegen habe ich den trüben Morgenstunden noch ein paar Minuten abgerungen, um das nachzuholen.

Montag, 16.09.2019 (3. Etappe Tecklenburg – Bad Iburg)

Es regnet. Und regnet. Unsere Motivation zu wandern tendiert gegen Null. Aber egal. Wir sind ja nicht aus Zucker und rüsten kleidungsmäßig entsprechend auf:

Der Weg führt uns noch einmal in die Altstadt von Tecklenburg, wo wir den Anschluss verlieren. Wir untersuchen jeden Laternenpfahl und jede Hausecke. Aus der Beschreibung im Wanderführer werden wir auch nicht so recht schlau. Schließlich entdecken wir das ersehnte “H” und folgen dem Weg raus aus der Stadt. Irgendwie ist alles anders als beschrieben, statt Stufen runter müssen wir Stufen hoch, aber wir richten uns nach den Wegmarkierungen und kommen gut voran durch einen wunderschönen Buchenwald. Es pieselt mal mehr und mal weniger vor sich hin, was den Vorteil hat, dass man nicht so bummelt.

Wir passieren einen Fernsehturm, an dem Kerstin aus unserer Kleingruppe ausschert und ihrem Garmin folgt. Gerd und ich laufen weiter, vorbei an einem mysteriösen Grundstück mit dem Namen Hues Dunsenhee und einem Wegweiser “Germanenpark”.

Über die Hecke ragt eine germanische Skulptur. Irgendwie komisch. Google hat mich aufgeklärt: Ein Mann namens Friedhelm Lindemann hat sich dort auf seinem Grundstück diesen Park angelegt mit vielen Plastiken zur germanischen Mythologie und ihn öffentlich zugänglich gemacht. Nun ja. An einem Unterstand wollen wir mittels des Wanderführers den Streckenfortschritt überprüfen und lesen von Seen, Autobahnbrücken und Treppen, die wir  angeblich schon gesehen haben müssten. Offenbar laufen wir einen völlig anderen Weg! Aber wir folgen doch dem Zeichen! Große Fragezeichen über unseren Köpfen. Es stellt sich heraus, dass es eine im Wanderführer beschriebene Südvariante gibt und eine längere Nordroute, auf der wir uns befinden. Toll. Doch nun können wir nicht mehr zurück. Egal – wir laufen schließlich nicht da, wo alle wandern! Wir gehen eigene Wege! Der nächste Ort ist Leeden, ein geradezu unheimlich aufgeräumtes und sauberes Dorf.

Kurz darauf geht’s an einer Weide vorbei wieder in den Wald. Der Regen hat etwas nachgelassen und die Luft ist einfach herrlich frisch. Die Bäume glänzen und das sanfte Rauschen bzw. Tröpfeln wirkt fast therapeutisch ausgleichend aufs Gemüt.

An einem Rastplatz schließt Kerstin wieder zu uns auf, nur teilweise zufrieden mit ihren Erfolgen. Sie hat auf den nächsten 5 km keine Caches, weswegen wir diese gemeinsam zurücklegen auf schmalen, geteerten Straßen bis zu der Stelle, wo unsere Nordroute endlich wieder in den Wald führt und in die Südroute mündet. Laut Wegweisern haben wir nun noch 11,5 km vor uns und 9 km hinter uns und es ist schon nach 13 Uhr. Also weiter geht’s! Nächstes Highlight ist der riesige Steinbruch bei Lengerich, an dessen Abbruchkante wir uns entlang der Absperrung einen Berg hinaufquälen und oben an einer Bank erst mal schnaufend und dampfend die Regenjacken von uns werfen und eine Rast einlegen. Von hier aus kann man den ganzen, einer Mondlandschaft gleichenden Steinbruch einsehen, in dem emsig gearbeitet wird.

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Als es wieder zu nieseln beginnt, packen wir zusammen, laufen weiter und gelangen irgendwann zum Westerbecker Berg, dem höchsten Punkt des Münsterlandes mit einer Fern-Seh-Blick-Infotafel. Dort können wir lesen, welch fantastischen Blick man von hier aus hat. Aha.

Aber Kerstin hat sowieso nur einen Blick für das Naheliegende, nämlich eine Dose, die sich dort befinden muss. Sie untersucht alles akribisch, auch auf Knien. Nichts. Ich stochere auch ein bisschen im Gebüsch herum. Nichts. Gerd erbarmt sich schließlich, schaut kurz und wird fündig. Unglaublich! Wir stiefeln weiter. Es folgt ein Gehöft mit dem lustigen Namen Holperdorp und zwei kleine Gespenster, die an Bäumen kleben. Danach taucht urplötzlich mitten im Wald ein verlassenes Haus auf (irgendwie gruselig). Und Gerd entdeckt diesen Strauch, den ich später mittels Google Lens als Schwarze Zwillingsbeere identifiziere.

Mittlerweile sind wir an einem Punkt, wo wir uns freuen, dass sich die noch zu absolvierende Kilometerzahl im einstelligen Bereich bewegt. Die Wegzeichen werden spärlicher, sind meist nur an die Bäume gemalt und dementsprechend stark verblasst und weggewaschen. Oft stehen wir ratlos da und müssen unserem Orientierungssinn vertrauen. Am Ausflugsrestaurant Malepartus wird der Wanderer vermutlich beabsichtigt in eine Falle bzw. zum Restaurant gelockt, wir jedenfalls drehen dort eine Ehrenrunde. Ärgerlich. Noch 5 km stehen uns nun noch laut Wegweisern bevor, auf denen wir nun die Landesgrenze Nordrhein-Westfalen nach Niedersachsen überqueren.

Nun wird’s noch abenteuerlicher, das “H” ist nur noch sehr selten zu sehen und so arbeiten wir uns mühselig Richtung Bad Iburg voran, sogar die Entfernungsangaben schwanken auf und ab. Irgendwie ist das demotivierend. Aber dann kommt der große Moment, wo wir aus dem Wald heraustreten und uns Bad Iburg mit dem imposanten Burgberg begrüßt.

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Gerd ich warten im Kurpark auf Kerstin, um uns dann schleppenden Schrittes gemeinsam auf den Weg durch die Stadt zum noch knapp 2 km entfernten Hotel zu begeben.

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Endlich angekommen, werden wir freundlich empfangen und bekommen die Zimmerschlüssel. Schnell duschen, fürstlich speisen und dann die Beine hochlegen. Wir sind 7,5 Stunden gelaufen! Dank schwarzem Tee bin ich tatsächlich noch in der Lage, den Tag zusammenzufassen. So, und nun knipse ich das Licht aus. Mal schauen, ob wir morgen auch wieder statt der vorgesehen 23 km noch ein paar obendrauf packen!

Dienstag, 17.09.2019 (4. Etappe Bad Iburg – Borgholzhausen)

Ächzend und stöhnend stehen wir 7:45 Uhr auf, eigentlich viel zu spät, aber wir brauchen ja auch eine Regenerationsphase. Humpelnd und leise jammernd hangeln wir uns die Treppen nach unten und treffen dort auf Kerstin, die an der Rezeption auf uns wartet, weil sie sich nicht unter die Ärzte-Hautevolee mischen wollte. Diese weilen hier zu einem Kongress und haben uns gestern Abend mit ihren Gesprächen am Nachbartisch schon gut unterhalten mit solchen Floskeln wie “Du musst deinen Skills vertrauen…” und “Die KV hat mich zu 100000 € Strafe verdonnert, obwohl ich mich immer korrekt verhalte und den Kollegen keine Patienten zuschiebe…”

Das Frühstück jedenfalls war fürstlich und es fiel schwer, aus dem Angebot eine Auswahl zu treffen. Auf Kerstins Platz sah es deswegen so aus:

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Unser Lunchpaket müssen wir auch hier einfordern. Nur in Riesenbeck wurde es uns unaufgefordert gereicht. Letztendlich ist es dann doch wieder nach 9:30 Uhr, bis wir losmarschieren. Während wir noch an der Rezeption rumlungern und auf Kerstin warten, degradiert Gerd mal eben den Chef des Hotels zum Hausmeister, der sich laut gestriger Aussage der jungen Damen an der Rezeption gut mit Wanderwegen auskennt. Wir wollen eigentlich nur wissen, wo der Einstieg in den Hermannsweg ist. Das weiß der Chef aber auch und erklärt es uns nochmal. Dass wir bis Borgholzhausen wandern wollen, findet er wohl ziemlich abartig, denn er fragt: “Sie wissen aber, wie weit das ist?” Hm. Ja klar, wissen wir. 23 km. Geht doch noch, oder?

Kerstin kommt uns schon nach 50 Metern abhanden, sie muss dort unbedingt was suchen. Wie wir später von ihr erfahren, vergeblich. Gerd und ich laufen weiter, immer schön bergauf und durch einen sonnengetränkten Wald.

Die Luft ist zwar kühl, aber die morgenfrische Luft ist einfach herrlich. Zum Wandern und Durchatmen ideal. Wir kommen an einem Schild vorbei, dessen Text einem schon zu denken gibt. So ähnlich wie die grünen Kreuze:

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Das bedeutet, dass dieser Abschnitt eigentlich gesperrt ist bzw. keine Haftung übernommen wird. Wie zum Hohn rauscht es in diesem Moment heftigst in den Baumkronen, so dass man schon die nötige Portion Gottvertrauen mitbringen muss, um sich nicht beunruhigen zu lassen. Wir kommen an der Freeden-Hütte vorbei und finden nach ca. 6 km eine Bank, deren Verlockung wir nicht widerstehen können. Auch Kerstin, die kurz darauf um die Ecke kommt, passt da noch drauf und wir genießen zu dritt die Aussicht. 

Ich finde in meinem Rucksack noch ein angebrochenes Fläschchen Wanderschnaps aus Tecklenburg und trinke die Neige aus, um mein Gepäck zu minimieren. Auf dem Foto richte man die Aufmerksamkeit bitte auf meinen Begleiter, der hochmotiviert auf das Ende der Pause zu warten scheint.

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Wir stiefeln weiter, denn jeder gelaufene Kilometer bringt uns dem Etappenziel näher. Und das beschreibt eigentlich die nächsten zwei Stunden. Ein Fuß vor den anderen setzen und denken: ich schaffe das. Für Gerd ist das nicht so einfach. Sein kaputtes Knie macht ihm bei jedem Schritt deutlich, dass es so nicht mehr weitergeht. Aber niemals wird eine Klage über seine Lippen kommen. Er beißt sich da durch und kann hoffentlich trotzdem die Natur genießen.

Uns so geht es heute weiter,ein stetiges Auf und Ab, mal keuchend, mal mit lustlosen Beinen mit dem Gedanken im Hinterkopf, ob das wohl am Alter liegen mag, mal begeistert von der Natur und einem selbst mittendrin.

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Meistens führt der Weg heute auf dem Kamm des Teutoburger Waldes entlang. Wir setzen uns das Ziel, an einem Rastplatz Mittagspause einzulegen, wenn die noch zu laufende Kilometerzahl einstellig ist. Unsere Wahl fällt auf eine ganz neu gestaltete Sitzgruppe neben dem Steinegge-Aussichts- und Fernsehturm https://www.teutonavigator.com/de/punkt/aussichtsturm/fernsehturm-steinegge/1280056/

Natürlich müssen wir da auch hoch – 150 Stufen warten auf uns und wir werden mit einem majestätischen Weitblick belohnt. Auch Drehrumbum ist begeistert, muss sich aber am Geländer festklammern, um nicht wegzufliegen. Gerd ist unterdessen schon langsam weitergelaufen. Jetzt sind es noch knapp 7 km bis zum Ziel. Kerstin schert wieder aus und findet dieses Mal einen von Kröten bewachten Schatz:

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während Gerd und ich uns über ein merkwürdiges Geräusch wundern, das einem startenden Flugzeug ähnelt, uns aber ein langes Wegstück begleitet und immer lauter wird. Was könnte das bloß sein? Schließlich entdecken wir des Rätsels Lösung: ein Windrad! Ich habe versucht, das Geräusch in einem Video einzufangen:

Nach einem Weilchen nähern wir uns dem nächsten Turm, benannt nach der preußischen Königin Luise. Es ist der vierte, 1991 an dieser Stelle erbaute Turm. Natürlich will ich da auch hochsteigen, dem Rest meiner Wandergruppe fehlt allerdings die Motivation. Auch hier eine herrliche Sicht ins Land und auch direkt auf Borgholzhausen, das nun direkt unterhalb zu sehen ist. Ein schönes Gefühl, das Ziel so nah zu wissen.

Kerstin sucht in der Zeit den letzten Cache auf der Tour und stellt zähneknirschend fest, dass sie dazu nun doch auf den Turm muss. Wir beobachten von unten, wie sie akribisch und vergeblich jeden Balken dieses Bauwerkes untersucht, bis Gerd mit seinen Adleraugen die Dose entdeckt. Von unten wohlgemerkt! Es ist nur eine kleine Abweichung vom restlichen Gestänge es Turms, die ihn stutzig werden lässt. Kerstin ist fassungslos, dass jemand aus 16 Metern Entfernung etwas entdeckt, was direkt vor ihrer Nase baumelt.

Nun nehmen wir das letzte Stück Weg in Angriff und erreichen Borgholzhausen, wieder ein niedliches Städtchen mit viel Historie, die wir nur im Vorübergehen wahrnehmen.

Wir stürmen den örtlichen Edeka-Markt und suchen dann die Apotheke, weil wir dort in Gästezimmern untergebracht sind. Begeistert nehmen wir diese sehr stilvoll eingerichteten Zimmer in Beschlag, in denen noch Möbel aus der alten Apothekerwohnung stehen.

Nach einem leckeren Essen im libanesischen Restaurant heißt es: Ab ins Bett! Denn morgen haben wir 30 km vor uns, die uns ein bisschen Angst machen. Kerstin hat sogar das passende T-Shirt dafür.

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Mittwoch, 18.09.2019 (5. Etappe Borgholzhausen – Bielefeld)

Da wir heute mehr Strecke zu bewältigen haben als sonst, verlagern wir alles um eine Stunde vor und gehen um 7 Uhr zum Bäcker frühstücken, wo uns – wie von unserer Wirtin vorausgesagt – erst einmal etwas Irritation entgegenschlägt. Doch nach einem Telefonat der Chefin ist alles geklärt. Wir dürfen uns zwei belegte Brötchen aussuchen und dazu einen Kaffee. Auch das Lunchpaket bekommen wir wunschgemäß gepackt, sogar mit zwei Getränkeflaschen. Höchst zufrieden und gestärkt starten wir um 8:15 Uhr und wandern hinaus aus dem beschaulichen Städtchen hinein in den frühen Morgen. Es ist zwar kalt, aber trotzdem wunderschön, im Morgenlicht zu laufen.

Wir nehmen uns vor, den Tag in drei Etappenziele aufzuteilen und nach je 10 km eine längere Pause einzulegen. Wir kommen gut vorwärts, müssen aber immer wieder steile Aufstiege bewältigen, die natürlich mehr Zeit kosten als bergab. Kerstin verlässt uns ab und zu, holt auch wieder auf und überholt, je nachdem. Gibt es einen nicht eindeutigen Wegeverlauf, verständigen wir uns per Telefon. Die Wegebeschaffenheit wechselt, besteht aber meistens aus Kalksteinschotter und erschwert das Laufen erheblich. Am liebsten mögen wir federnde Tannennadelteppiche.

Heute fallen uns besonders die lustigen Stationsnamen auf, auch den Mittagessensplatz können wir leider nicht seiner vorgesehen Nutzung zuführen, denn es ist noch zeitiger Vormittag, als wir dort vorbeikommen. Oft gibt es Fotomotive, bei denen ich mich eigentlich länger aufhalten müsste, um sie im richtigen Winkel vor die Kamera zu bekommen. Sicherheitshalber halte ich mein Smartphone immer griffbereit für Schnappschüsse, muss mich aber auch oft selbst ermahnen, dass das 500. Blumenfoto nicht zwingend notwendig und von allgemeinem Interesse ist.

Als wir die höchste Erhebung der heutigen Etappe – den Berg Große Egge bewältigt haben, brauchen wir eine Verschnaufpause. Es bietet sich uns eine hervorragende Sicht auf Werther und kurze Zeit später erreichen wir Halle / Westfalen.

Vor dem Fachwerkhaus im unteren Bild sitzt ein Mann und liest, als wir daran vorbeilaufen. Der Garten ist über und über mit Blumen und originellen Accessoires bestückt und man möchte sich am liebsten staunend dort umschauen. Das war im 19.Jh. das Gärtnerhaus, zugehörig zum ehemaligen Landschaftspark der Kaufmannsfamilie Hagedorn. Dazu zählte auch die Kaffeemühle, ein Aussichtspavillon, die ihren Namen durch die Form erhalten hat. Obendrauf dreht sich statt der Kurbel ein preußischer Adler als Wetterhahn. Hier legen wir eine längere Pause ein und genießen den Blick auf Halle. Der weitere Weg ist gespickt mit Erklärungstafeln zur Historie des Landstriches und den Besonderheiten der Natur und man spürt die Wertschätzung, die hier der Heimat entgegengebracht wird.

Nach einem weiteren Aufstieg finden wir Kerstin in einer Hängematte schaukelnd wieder und Gerd freut sich über die Gelegenheit einer Rauchpause.

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So geht es weiter des Weges, der mit beeindruckenden Schutzhütten ausgestattet ist, die Namen preußischer Persönlichkeiten tragen. Wir entdecken Wacholderhecken und blühende Erika und stapfen tapfer vor uns hin, mal mehr und mal weniger schwungvoll. Auch die beiden Teddy-Wanderer tauchen wieder mal auf und wollen vor Bielefeld auf jeden Fall nochmal einkehren, da sie stark unterhopft sind, wie sie sagen.

Ein letzter großer Anstieg zu einem Funkturm, dann nähern wir uns Bielefeld. Der erste Eindruck ist sehr positiv. Ca. 3 km vor der Stadt befindet sich ein frei zugänglicher und wunderschön angelegter Tierpark, den der Hermannsweg durchquert. Es folgt ein gepflegter Park, in den wir auf Kerstin warten, um gemeinsam das Hotel zu suchen.

Auf diesem letzten Stück durch die Stadt verlieren wir den Weg, der uns direkt zum Hotel führen müsste und weichen von den Wegweisern auf Google Maps aus. Wir fallen fast in Ohnmacht, als wir lesen, dass wir noch 3,4 km entfernt sind vom Hotel! Aber was bleibt uns übrig – mit letzter Kraft schleppen wir uns einmal quer durch Bielefeld, um endlich zum Ziel zu kommen mit knapp 40.000 Schritten – dem etwas abgehalfterten Waldhotel Brands Busch. Im Gegensatz zu diesem Wohnhaus, an dem wir vorbeilaufen:

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Der Empfang lässt an Herzlichkeit noch Steigerungen zu. Meine Bemerkung, dass die Wegmarkierung in der Stadt aufhört, wurde mit “Das ist schlecht für Sie.” kommentiert. Aber ich konnte der Dame die Information entlocken, wo es morgen weitergeht. Wenigstens bekommen wir hier noch was zu essen, paffen gemeinsam Zigarillos und wärmen uns dabei an Grog, denn es ist abends empfindlich kalt draußen. Als wir ihn bestellen wollen, fragt die Bedienung: “Grog? Was ist das?” Wir erklären ihr die Zutaten und dass das Getränk sogar auf der Karte zu finden ist. Wir freuen uns auf den wohlverdienten Schlaf und verschwinden in unseren Zimmern.

Donnerstag, 19.09.2019 (6. Etappe Bielefeld – Hörste)

Der Tag beginnt für uns um 6.45 Uhr mit dem Blick auf ein dreckiges Dach und merkwürdigen Hinterhof. Aber die Sonne lugt schon durch die Bäume und verspricht schönes Wanderwetter. Das Frühstück ist wie erwartet, nicht gut und auch nicht direkt schlecht. Wir müssen über einen Baustellenflur zum Buffet. Alles ist ein bisschen oll und irgendwie unangenehm. Aber wir wollen hier ja nicht einziehen. Laut Plan wird es heute eher eine gemütliche Wanderung mit 21 km. So richtig fit fühlt sich niemand von uns. Gerd wegen Knieproblemen und ich wegen akutem Schlafmangel, weil ich abends immer noch den Tagesbericht in die Tasten haue. Etwas lustlos wanken wir zum Weg, werden aber von einer Passantin schwer beneidet. “Ich komme mit!”, ruft sie uns fröhlich zu. Gequält lächeln wir zurück. Aber die frische Morgenluft weckt unsere Lebensgeister wenigstens ein bisschen.

Wie jeden Tag kraucht Kerstin schon bald auf Knien rum. Wieviel Caches sie heute auf dem Programm hat, verrät sie nicht. Sie meint, viele.

Wenn Gerd in der Nähe ist, hat sie es leichter. Er findet ja auch Dosen ohne Koordinaten mit seinem Adlerblick, entdeckt auf dem Waldboden aus Stöckchen geformte Wörter, Pilze, Münzen u.ä.

Mit ihm an meiner Seite muss ich keine Angst haben, mich zu verlaufen. Die Steigungen halten sich heute in Grenzen, die Bodenbeschaffenheit wechselt, aber überwiegend eiern wir auf dem Kalksteinschotter rum, der das Laufen sehr erschwert. Nach ca. 5 km erreichen wir den Eisernen Anton, ein 1895 erbauter, 9,5 Meter hoher Aussichtsturm und legen eine kurze Pause ein. Wer kommt um die Ecke? Unsere Teddy-Wanderer.

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Nach einem Schwätzchen stiefeln wir wieder los und werden vom immer lauter werdenden Lärm der Autobahn begleitet, die wir kurz darauf überqueren und sogar noch ein Stück tangieren. Wenn man die Ruhe des Waldes gewöhnt ist, bekommt man sofort Fluchtgedanken und möchte nur eins – wieder im Wald verschwinden.

Das gelingt uns relativ schnell, aber noch lange ist das Rauschen des Verkehrs zu hören. Der Weg führt uns an einem Baum mit beeindruckendem Wurzelwerk vorbei, genannt: die Spinne. Auf dem Foto kann man gut sehen, dass der Name seine Berechtigung hat.

Wir nähern uns langsam der Bergstadt Oerlinghausen im Kreis Lippe, deren Segelflugplatz als einer der beiden größten seiner Art in Europa gilt. Unterwegs hinterlasse ich immer kleine Grüße in Form von Postkarten an Kerstin, die alle sehen, die nach uns den Weg gehen, nur Kerstin nicht (außer einer). Ein alter, sehr gebeugter Mann läuft bzw. rennt fast forschen Schrittes an uns vorbei. Wenig später sehen wir ihm auf einem Baumstumpf Pause machen. Genau an diesem Baumstumpf liegt ein Cache, den Kerstin suchen will. Kurzentschlossen macht sie sich an die Arbeit und zieht sie dem Mann entschuldigend quasi unter dem Hintern weg. Er scheint sich kaum zu wundern und fragt sie, ob sie von der Wegewacht sei. Wenn ja, hätte sie die Postkarten aber bestimmt gefunden!

Bad Oerlingshausen empfängt seine Besucher mit sehr freundlichem Antlitz. An einer Bank finden wir eine Ermahnung, den Müll im Papierkorb zu entsorgen. Wir queren wir nur am Rande und quälen uns die steilen Kopfsteinstraßen hoch. Oben steht eine Mühle ohne Flügel, genannt Kumsttonne. Kumst ist hier die Bezeichnung für Weißkohl, wie ich auf einem Schild lese. Den schrecklichen Aufkleber auf einer Informationstafel versuche ich abzukratzen, gelingt mir aber nicht.

Nun folgt der schönste Wegeabschnitt des Tages. Der Philosophenweg.

Wir schweben auf Nadelboden, lesen kluge und streitbare philosophische Sprüche und Informationen zur Frühgeschichte in dieser Gegend und zur Forstwirtschaft. Alles sehr unterhaltsam. Beeindruckt durch seine düstere Architektur sind wir vom Ehrenmal für die Gefallenen des 1. WK., errichtet 1930. Das merkt man ihm an:

Ringsrum zieht sich eine Banderole mit folgender Inschrift:

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Hier folgen noch die Philosophen-Zitate:

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Sogar eine Kapelle gibt es dort und eine Meditationsweg dorthin:

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Alles sehr interessant und diskussionswürdig.

Nun haben wir es fast geschafft. Noch ein paar Kilometer und wir erreichen Bienenschmidt, ein Ausflugsrestaurant. Mit unserem Hotel ist abgesprochen, dass wir dort abgeholt werden.

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Bevor ich anrufe, genehmigen wir uns Kaffee und Kuchen und genießen die Idylle und das Gefühl, für heute alles geschafft zu haben. Meine leise Hoffnung, dass wir hier Stocknägel bekommen, zerschlägt sich schnell. Wir beobachten, wie immer mehr Männer mit riesigen Salatschüsseln unterm Arm nach hinten in den Biergarten gehen. Vermutlich ist das eine Gruppe, die sich zum Grillen verabredet hat. Die Teddywanderer sind ebenfalls wieder da, trinken ein Bier und laufen danach weiter zu ihrer auch nahen Unterkunft.

Kurze Zeit nach meinem Anruf rollt leise ein nagelneues, blitzendes E-Auto vor. Ein Sohn des Familienunternehmens Berkenkamp verstaut uns samt Stöcken, die geradeso reinpassen und bringt uns nett plaudernd über diese Art der Fortbewegung zum Ziel. Offenen Mundes steigen wir mit Blick aufs Gehöft aus dem Auto und kommen mit dem Staunen gar nicht hinterher, als wir unsere Zimmer zugewiesen bekommen. Gerd und ich sind im Zimmer Sperling, Kerstin im Eichelhäher. Das Hotel ist sehr originell eingerichtet wie ein Museum, dessen Besitzern man die Liebe zum Detail anmerkt. Unsere Zimmer sind ausgesprochen gemütlich. Wir haben eine Terrasse mit Blick auf und Zugang zu einem kleinen Landschaftspark, Kerstins Zimmer verfügt über einen Balkon mit Blick auf eine Pferdeweide. Bis zum Abendessen ist noch Zeit und so schauen wir uns mit leuchtenden Augen um:

Am liebsten würden wir hier jetzt noch eine Woche bleiben. Auch das Abendessen im wohnzimmerähnlichen, urgemütlichen Esszimmer ist ein Erlebnis. Es gibt ein Menü, das man nicht wählt, sondern wie zu Hause bei Muttern einfach ohne zu meckern isst. Und dazu gibt es auch keinen Grund. Den Auftakt macht ein Mango-Trauben-Schaumsüppchen. Köstlich! Die Geschmacksknospen blühen auf. Es folgt der Hauptgang: Reh-Hacksteak mit Karotten-Wirsing-Gemüse, in gerösteter Butter geschwenkte Kartöffelchen und Soße. Wer möchte, bekommt Nachschlag von allem. Den Abschluss bildet Zitronenmousse. Wir sind danach so satt, dass wir stöhnen und ächzen und uns die Bäuche massieren. Kostenpunkt: 18,90 €. Das ist alles in allem die beste Unterkunft unserer diesjährigen Wanderung und toppt tatsächlich das Hotel in Riesenbeck. Große Empfehlung für alle, die z.B. mal ein Verwöhnwochenende mit einem Besuch des Hermanndenkmals und der Externsteine koppeln wollen. Genau diese beiden Sehenswürdigkeiten liegen auf unserer morgigen und letzten Etappe, die noch einmal sehr anstrengend werden wird.

Freitag, 20.09.2019 (7. Etappe Hörste – Bad Meinberg)

Wie zu erwarten, ist auch das Frühstück außergewöhnlich. An einem liebevoll gedeckten Tisch wird uns serviert, was das Herz begehrt. Sogar der Kaffee schmeckt, was in Hotels meistens nicht der Fall ist. Wir bekommen alles gebracht und werden ständig umsorgt. Können wir nicht hier bleiben? Nein – wir haben noch eine Etappe vor uns. Aber wir schmieden schon Pläne für einen weiteren Besuch in diesem besonderen Hotel. Wir werden vom Senior-Chef wunschgemäß wieder im Wald abgeliefert. Unterwegs erzählt er uns, dass es in den Wäldern sehr traurig aussieht, sie sterben durch den Borkenkäfer und die Trockenheit. Den Forstwirten würden die Tränen in den Augen stehen. Jetzt haben wir auch eine Erklärung für die grünen Nadelteppiche.

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Die Fichten sind fast alle tot und werfen ihre Nadeln ab. Wenn man den Blick nach oben richtet, sieht man die Tragödie ganz deutlich. Kaum eine Fichte trägt noch ihr Nadelkleid.

Wir starten zum Endspurt. Das erste Ziel ist das Hermannsdenkmal. Auf dem Weg dorthin läuft parallel der Literarische Wanderweg, gestaltet und gepflegt durch den Ort Hörste, das sich als Dichterdorf bezeichnet und diesbezügliche uralte Traditionen pflegt.  Ca. alle 100 Meter findet man ein Gedicht:

Da wir nicht direkt dort, wo wir die gestrige Etappe beendet hatten, abgesetzt wurden, fehlen uns die ersten fünf Gedichte. Aber bestimmt kann man sie googeln. Nach 10 Kilometern und einem steilen Anstieg sehen wir ihn endlich, den Hermann. Das Gelände ringsrum ist natürlich touristisch erschlossen mit Gastronomie, Infozentrum und Souvenirshop. Gefasst auf ein neuerliches Kopfschütteln fragen wir nach Stocknägeln. Und tatsächlich gibt es hier welche. Hurra! Wir können nun also unseren Wanderstöcken ein weiteres Abzeichen hinzufügen.

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Es gibt noch viele weitere schöne Dinge hier, aber die Tatsache, dass wir sie mit uns rumschleppen müssten, hält uns vom Kaufen ab. Oder der Preis, wie z.B. Wanderstöcke für 189 €. Ich erwerbe ein Kombiticket für Hermann und Externsteine, meine beiden Begleiter wollen nicht aufs Denkmal klettern. Es ist schon beeindruckend, wenn man direkt davorsteht. Errichtet wurde es von Ernst von Bandel, der sein ganzes Leben der Errichtung dieses Denkmals widmete. Der 1800 in Bayern geborene Architekt und Bildhauer verspürte – geprägt durch die französische Besatzung und die Völkerschlacht bei Leipzig schon bald den Wunsch, den Deutschen ein Nationaldenkmal zu setzen. Diese Idee verfolgte er unerschütterlich und mit vielen Rückschlägen. Während der Bauarbeiten wohnte er sogar direkt neben der Baustelle in einer Hütte, die man dort immer noch steht. Ein Jahr nach der Einweihung 1875 in Anwesenheit Kaiser Wilhelm des I. starb Bandel.

Nun haben wir noch 10 km vor uns bis zu den Externsteinen, dort werden wir von unserem Vermieter in Horn-Bad Meinberg abgeholt. Er hat uns eine klare Zielsetzung vorgegeben: 17 Uhr sollen wir an einer vereinbarten Stelle stehen. Jetzt ist es 13.45 Uhr. Schnell wird uns klar, dass das schwer zu schaffen ist ohne Stress. Ich rufe nochmal an und wir vereinbaren, dass wir uns melden, wenn wir soweit sind. Eine weise Entscheidung, denn die letzte Wegstrecke ist zwar sehr schön, aber nicht ohne. Auch Kerstin hat zu tun und wird auf jeden Fall heute einen Rekord brechen: 100 Caches in einer Woche! Auf keiner unserer Wanderungen hat sie so viele gefunden bzw. waren so viele zu finden. In einer der Dosen wartete Berni Geröllheimer auf sie, um mit ihr auf Reisen zu gehen. Sie wird ihn an einem anderen Ort wieder in einem Versteck für den nächsten Finder versenken. Drehrumbum hat sich jedenfalls über die unerwartete Gesellschaft gefreut.

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Nach einem nicht enden wollenden Aufstieg steigen wir über wunderschöne Wiesenwege hinab in Richtung Externsteine.

Ich freue mich schon sehr darauf, denn da war ich schon einmal 2011, als ich zu einer Lesung in einer onkologischen Klinik nach Horn-Bad Meinberg eingeladen wurde. Trotzdem bin ich wieder überwältigt von ihrem Anblick:

Ein schöner Park mit vielen Bänken lädt zum Verweilen ein, man kann aber auch über viele hohe Stufen nach oben klettern. Gerd entscheidet sich für die Bank und beobachtet Kerstin und mich, wie wir uns hinaufhangeln. Von dort oben hat man einen sagenhaften Blick übers Gelände:

Nach einem Anruf beim Vermieter begeben wir uns vor zum Parkplatz und entdecken auf dem Weg diese originelle Bank:

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Im Auto sitzend, bekommen wir eine ausführliche Übersicht über die Geschichte des Ortes, die Kurkliniken, den hier befindlichen größten Ashram nach denen in Indien, Einkehrmöglichkeiten, Zugverbindungen und Schienenersatzverkehr u.v.m. Alles habe ich mir nicht gemerkt. Ein merkwürdiger Mensch, immer im Terminstress, alles ist getaktet. Im Haus selbst gibt’s auch eine Führung mit allen wichtigen und unwichtigen Infos und der Vereinbarung, morgen beim Frühstück die Fahrmöglichkeit zu klären, da er jetzt noch einen politischen Termin wahrnehmen müsste. So machen wir das. Jetzt gehen wir noch essen beim Griechen und bekommen auf dem Weg einen kleinen Eindruck vom Ort:

Traurig und trostlos, aber diese verlassenen Häuser stehen direkt neben dem sehr gepflegten Kurpark. Morgen haben wir noch ein bisschen Zeit, uns hier bei Tageslicht umzuschauen. Im Restaurant sind wir umzingelt von Kurgästen, die sich hier zusammengefunden haben zu Zweckgemeinschaften und sich lautstark über ihre persönlichen Befindlichkeiten austauschen. Das war genau der Grund, warum ich damals zur Reha zur Einzelgängerin wurde. Wieder im Hotel, paffen wir die Abschlusszigarre und trinken unser letztes Schnapsfläschchen aus, dann ziehen wir uns in unsere spartanischen Zimmer zurück.

Samstag, 21.09.2019 (Bad-Meinberg – Berlin)

Das Frühstücksbuffet ist sehr übersichtlich, wir ergattern das letzte Ei, die letzten drei Brötchen und räumen egoistisch die zwei Wurst- und Käsescheiben ab. Dafür bekommen wir aber wieder ausführliche Informationen über den Fahrplan der Bahn und wo wir wieviel Aufenthalt haben und welche Verbindung die beste wäre. Wir einigen uns dann darauf, dass uns unser etwas hyperaktiv erscheinende Vermieter eine Stunde vorher zum Bahnhof fährt (sind nämlich 4 km zu Fuß). Um 12 Uhr sollen wir bereitstehen. Später kann er nicht, da hat er (wahrscheinlich wieder einen politischen) Termin. Ist uns recht, so haben wir keinen Stress. Pünktlich um 10 Uhr steht die Putzfrau vor unserer Zimmertür. Unter der Oberaufsicht der Mutter unseres Vermieters stellen wir die Koffer im Flur ab und starten bei schönstem Wetter zu einem zweistündigen Stadtrundgang durch Bad Meinberg. Kerstin schert wieder in eigener Mission aus. Ich entdecke die Klinik, in der ich damals zur Lesung in einem sehr hübschen Zimmer übernachtet hatte. Wir durchstreifen den Park und die ihn umgebenden Straßen und finden tatsächlich die Einkaufsmeile des Ortes. Gerds Befürchtungen, mit mir shoppen gehen zu müssen, lösen sich in Anbetracht des Warenangebotes schnell in Luft auf. Aber wir finden ein kleines Café, das Sonnenplätze anbietet und entschließen uns, bei einer Tasse Kaffee die restliche Zeit der Sonne zugewandt zu verbringen. Als ich aber die Waffelkarte studiere, kann ich nicht widerstehen, nach dem doch recht spartanischen Frühstück eine Obst-Joghurt-Waffel zu bestellen.

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Kerstin, die in diesem Moment um die Ecke kommt, tut es mir gleich. Soooo lecker! Und gesund! Nun wird es Zeit, zum Hotel zurückzukehren. Wieder durch den Park und vorbei an einer originellen Wocheneinteilung für Kurgäste:

Und so sieht das Wander- und Fahrradhotel Havergoh aus:

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Auf dem Foto gar nicht mal so schlecht. Innen geht’s anders zu. Wir melden uns zurück und können auch umgehend mit unserem Gepäck ins Auto steigen. Auf der Fahrt zum Steinheimer Bahnhof bekommen wir vom Hotelinhaber einen umfassenden Überblick, wieso der Tourismus in Bad Meinberg offenbar fast völlig zum Erliegen gekommen ist und so viele Hotels leerstehen. Vor der Wende wurden die Gästebetten finanziell vom Staat bzw. der Sozialversicherung subventioniert und dienten vor allem der Unterbringung der Kurgäste. Dann kamen die 17 Millionen Wirtschaftsflüchtlinge (!!!) aus der DDR und das System brach zusammen. Auch sein Hotel war davon betroffen. Aber jetzt läuft alles bestens und er kann sogar investieren und demnächst anbauen (bestimmt durch das minimalistische Frühstücksangebot zusammengespart).

Leider war die Fahrt da noch nicht zu Ende. Wir wurden aufgeklärt, wie man Autofahrer erzieht, die sich gegenüber Radfahrern falsch verhalten oder die auch ohne Fehlverhalten einfach mal einen Denkzettel verdient haben. Man braucht nur einen guten Draht zur örtlichen Polizei und ein paar Zeugen. Dann notiert man sich Uhrzeit, Ort und Kennzeichen und macht eine Anzeige. Der Autofahrer bekommt daraufhin Besuch von den Ordnungshütern und eine gebührenpflichtige Zwangsschulung (35 €), wie man sich im Straßenverkehr zu verhalten hat. Sehr wirkungsvoll, teilt er uns freudestrahlend mit. Gerds Gesicht versteinert zusehends und wir atmen auf, endlich am Bahnhof angelangt und aussteigen zu können.

Nun geht’s weiter mit der S-Bahn nach Hannover. Dort haben wir zwei Stunden Aufenthalt. Gerd platziert sich bei BurgerKing und bewacht das Gepäck, Kerstin und ich wollen ein bisschen durch die Läden schlendern. Allerdings ist dieser Bahnhof so deprimierend, dunkel, dreckig und übervölkert, dass wir schlagartig die Lust am Shoppen verlieren und lieber noch 30 km wandern würden. Die letzte Etappe nach Berlin schaffen wir dann auch noch und sind gegen 20 Uhr wieder zu Hause.

Fazit:

Der Teutoburger Wald hat uns in vielerlei Hinsicht überrascht. Das Höhenprofil hat uns vorher suggeriert, dass es nicht sehr anstrengend werden wird im Vergleich zu den Wegen der vergangenen Jahre. Das war ein Trugschluss. Vielleicht lag es auch an der Länge der Etappen (25-30 km pro Tag), dass wir uns immer an deren Ende von Wegweiser zu Wegweiser hangelten. Auch die Wegebeschaffenheit hat unsere Kondition herausgefordert. Schätzungsweise 80% der Strecke besteht aus Kalksteingeröll. Darauf zu laufen, erforderte eine ständige Balance des Körpers. Wiesen-, Sand- und Nadelteppichwege waren eine Wohltat für die Füße. Die Landschaft ist wunderschön und sehr abwechslungsreich. Oft eröffnen sich herrliche Ausblicke, die man auf eigens dort platzierten Bänken genießen kann. Grundsätzlich ist der Weg gut ausgestattet mit Rastplätzen. Auch geologisch geht es kunterbunter zu als gedacht. Man hatte das Gefühl, dass der Teutoburger Wald eine Komprimierung aller deutschen Mittelgebirge darstellt. Mal felsig wie im Harz, mal weit wie die Rhön, mal mystisch wie der Thüringer Wald, ja sogar manchmal wie ein Steilküstenweg an der Ostsee. Die Beschilderung ist überwiegend gut, an manchen Stellen aber irreführend bis gar nicht vorhanden wie z.B. in Bielefeld. Der Wanderer steht ratlos vor der Altstadt und muss sich den Weg zum Hotel individuell gestalten. Das waren nochmal 3 km quer durch die Stadt mit tosendem Verkehr. Nicht schön. Leider fehlt uns auch das letzte Stück des Hermannweges, denn an den Externsteinen ist er noch nicht zu Ende, sondern bei Velmertstot im Leopoldstal. Das holen wir noch nach. Sehr zur Abwechslung beigetragen haben die Gedenk- und Infotafeln unterwegs zu geschichtlichen Hintergründen der jeweiligen Gegend oder zu Natur- und Bodendenkmälern. Dass der Teutoburger Wald sehr eng verknüpft ist mit der deutschen Geschichte, spürt, sieht und liest man auf Schritt und Tritt. Die Erinnerung daran ist nicht gleichzusetzen mit Deutschtümelei, sondern mit aufrichtiger und respektvoller Heimatverbundenheit. Das ist mir besonders angenehm aufgefallen. Die Unterkünfte waren ok bis herausragend gut und auch mit Gepäcktransport und Lunchpaket gabs nie Probleme. Die Buchung über Rheine Tourismus kann ich unbedingt weiterempfehlen. Von den Vorbereitungen bis hin zur Durchführung der Wanderung fühlten wir uns bestens und persönlich betreut.