
Samstag, 15. April 2023
Seit einigen Jahren pflegen meine Söhne und ich die gute, alte Tradition des Mutter-Kinder-Urlaubs. Angefangen mit Malta, setzte sich das fort mit Madeira und Menorca, zufällig immer Länder, deren Namen mit M beginnen. Irgendwie wollten wir dann aus dieser Nummer nicht mehr raus, was dieses Jahr einer der Beweggründe war, uns für Montenegro zu entscheiden, zu meiner großen Freude in komplettierter Runde durch Wolframs Freundin Vanessa.
Erstaunlicherweise hat niemand verschlafen – aus unterschiedlichen Richtungen kommend, treffen wir vier uns am Bahnhof Ostkreuz im Zug nach Schönefeld zum BER. So richtig putzmunter ist noch niemand, doch bei Georg befindet sich auch die Mimik noch im Tiefschlaf. Wortkarg gibt er zu verstehen, dass er vermutlich irgendwas vergessen hat. Ich scherze: “Na, Hauptsache, du hast deinen Ausweis oder Reisepass dabei.” Nun passiert etwas, das ich bisher nur für eine Metapher gehalten hatte und noch nie in dieser Deutlichkeit bei einem Menschen gesehen habe. Seine Gesichtszüge entgleiten. Er schließt die Augen, atmet schnell und tief ein und aus. ‘Oh’, denke ich, ‘meine Bemerkung ging wohl voll daneben. Er versucht gerade, seine Empörung wegzuatmen.’ Doch das Gegenteil ist der Fall: Georg hat tatsächlich etwas vergessen, nämlich seine Papiere. Zu allem Überfluss kommt dann auch noch die Schaffnerin, die mir ins Bewusstsein rückt, dass auch ich nicht an alles gedacht habe. Ich kann keinen Anschlussfahrschein vorweisen. Aber das ist im Vergleich zu Georgs Problem Pillepalle. Was nun? Er geht hektisch alle Möglichkeiten durch, noch in den Besitz seines Reisepasses zu kommen. Kann ihn jemand zum Flughafen bringen? Schafft er es selbst nach Hause und wieder zurück? Keine Chance. Es ist, wie es ist – er kann nicht mitkommen. Aber er kommt am Montag nach, muss allerdings einen extra Rückflug buchen, da mit Nichtantreten des Hinfluges heute auch der dazugehörige Rückflug verfällt. Schnell schichten wir sein Gepäck in meinen Koffer um, so dass er dann nur Handgepäck mit sich führen muss.
So machen wir uns also zunächst zu dritt auf die Reise. Alles klappt gut, nur eine nervige Frau probt den Aufstand an der Gepäckkontrolle, weil sie Kosmetikutensilien zurücklassen muss und bremst dadurch alle nach ihr aus. Ich bin nur stille Beobachterin und docke an Wolfram und Vanessa an, um im Getümmel nicht verloren zu gehen. Ich habe das Gefühl, noch nie eine Flugreise gemacht zu haben und stelle mich entsprechend doof an. Wem muss ich was vorzeigen? Wie komme ich zum Gate? Und welches ist das überhaupt? Endlich im Flugzeug, bekomme ich nicht einmal das Schließen des Gurtes ohne Hilfe hin. Es soll wohl so eine Art Trockenübungen geben für angehende Flugreisende. Vielleicht sollte ich mich da mal anmelden. Alleine wäre ich jedenfalls eine hilflose Person.
Dann schweben wir nach Reinhard-Mey-Manier über den Wolken. Das ist schon ein eigenartiges Gefühl, aber auch schön anzusehen.


Ich bin ja eher so die Erdverbundene, aber es ist nun mal bei der Entfernung die optimale Fortbewegungsart. Wir müssen in Belgrad umsteigen in den Flieger nach Podgorica, werden dort mit einem weißen Citroën abgeholt und zur Autovermietung gefahren. Das Auto können wir dann gleich weiternutzen. Ein ausgedientes Handy von Vanessa wird mit einer hier erworbenen SIM-Karte mit dem örtlichen Netz und Datenvolumen versorgt und dient uns ab sofort als Navi. Schnell noch das Auto auf Beschädigungen inspizieren und diese dokumentieren, unsere Zieladresse ins Navi eingeben und dann kann die Fahrt zu unserer sehr schönen Ferienwohnung in Kotor losgehen. Dort erwarten uns die sehr freundliche Vermieterin nebst Katze und wir werden in die Feinheiten und Geheimnisse der vielen Zimmer eingewiesen.


Drei Schlafzimmer, zwei Bäder, Küche, Essecke mit Klavier und Pistolen an der Wand, eine Terrasse und sogar eine im Schrank versteckte Waschmaschine stehen uns nun die nächsten Tage zur Verfügung. Ich gebe gleich mal ein Chopin-Konzert auf dem verstimmten Klavier, habe dann aber Mitleid mit meinem Zwangspublikum und packe lieber Koffer aus. Da heute Samstag ist, müssen wir noch einkaufen gehen im Supermarkt um die Ecke. Die Kassiererin tippt und tippt und schaut mich am Ende nur stumm an. Sie nennt keine Summe. Das Display kann ich auch nicht einsehen. Also reiche ich ihr ebenso wortlos einen 100-€-Schein, den sie wiederum kommentarlos wechselt. Geht doch! Wozu immer große Worte verlieren!
Nun müssen wir aber auf jeden Fall noch einen ersten Erkundungsgang durch die Altstadt von Kotor unternehmen. Dabei gleitet das Städtchen in hoher Geschwindigkeit von der Dämmerung in die Dunkelheit hinüber und wirkt durch die Beleuchtung markanter Gebäude und vor allem des Weges auf den Berg hinauf immer stimmungsvoller. Den Eingang zur Altstadt bildet ein Tor, in das ein Datum eingraviert ist: 21.11.1944. An diesem Tag marschierten Titos Truppen in die Stadt ein. Bis dahin war Montenegro durch Deutschland und Italien besetzt und hat auch darüber hinaus eine bewegte Geschichte, die u.a. von Türken, Russen, Franzosen und neuerdings auch Chinesen geprägt wurde. Auch heute noch gibt es Korruption, Menschen- und Drogenhandel, mafiöse Strukturen und religiöse Grabenkämpfe. Doch hier ist davon nichts zu spüren, das Städtchen liegt noch im Winterschlaf und freut sich auf die großen Kreuzfahrschiffe, die bald wieder im Hafen ihre menschliche Ladung ausspucken werden.
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Vermutlich behalten die hiesigen Katzen aber trotzdem zahlenmäßig die Oberhand. Auf Schritt und Tritt sind uns die kleinen Tiger begegnet – auf Bänken, Balkonen, Mauern, Straßen und in versteckten Winkeln. Aber sie sehen erstaunlich wohlgenährt und gesund aus und signalisieren durch ihre stoische Gelassenheit, dass sie die eigentlichen Bestimmer dieser Stadt sind und uns Menschen gönnerhaft dulden.



Wir beschließen diesen langen Tag mit einem vornehmen Abendessen in einem ebenso vornehmen Restaurant und sind neugierig, welche Abenteuer uns morgen erwarten. Nochmal ein Tag ohne Georg.


Sonntag, 16. April 2023
Nach einer kurzen Nacht wache ich um halb neun auf. Im Haus herrscht absolute Ruhe und ich bilde mir ein, die Bummel-Letzte zu sein. Bestimmt sind die “Kinder” schon joggend unterwegs, um die Zeit sinnvoll zu nutzen, bis ich startklar bin. Also schnell ins Bad, um mich in einen einigermaßen vorzeigbaren Zustand zu versetzen. Dafür nutze ich alles, was mein Kosmetiktäschchen so hergibt. Der Erfolg ist mäßig, wie sich später beim Zoomen der Fotos herausstellt. Immer öfter muss ich feststellen, dass meine Selbstwahrnehmung der Realität um Jahre hinterherhinkt. Aber ich will hier nicht abschweifen und wende meinen Blick von Spiegel der Küche zu, wo Wolfram schon den Frühstückstisch gedeckt und Kaffee gekocht hat. Er ist auch gerade erst aufgestanden, Vanessa ebenso. Zum Frühstück ziehen wir dann auf die Terrasse um. Es ist mal wieder viel schöneres Wetter, als angesagt und auch viel heller als in der klammen, kalten Wohnung. Zwecks Tagesplanung schmökert jeder in seinem Reiseführer (Müller, Reise Know-How und Marco Polo), und wir einigen uns auf eine Stippvisite in Herceg Novi, knapp 50 km von hier entfernt.

Vorher aber muss ich noch wissen, wie die blühenden Pflanzen im Hof heißen. Dank Google Lens ist das schnell herausgefunden: Errötende Braut, Calla und eine Kamelie! Um letztere wird in Berlin immer ein Riesenhype gemacht, wenn sie im Botanischen Garten blüht. Der Katze hier ist das egal, Hauptsache, sie bekommt was zu futtern.





Kaum mit dem Auto um die Ecke gebogen, versperrt uns auf einmal ein riesiges Haus die Sicht aufs Wasser. Gestern noch darüber gesprochen – heute ist es da: ein Kreuzfahrtschiff. Die Fotos sind nicht preisverdächtig, ich weiß, aber wie man sieht, habe ich aus dem Auto raus geknipst. Sie sollen einen Eindruck von der Größe dieses Gefährts vermitteln.


Alle Vorurteile werden bestätigt: Kotor ist plötzlich voller Touris, die wie eine Ameiseninvasion über die Stadt herfallen. Meins wäre das nicht, diese Art von Urlaub. Aber viele mögen es. und außerdem tangiert uns das nicht weiter, wir sind kurz darauf auf der Küstenstraße mit herrlichen Ausblicken unterwegs.
Herceg Novi ist ein Städtchen mit einer sehr bewegten Geschichte, wie es hier grundsätzlich der Fall zu sein scheint. Während aber die meisten Siedlungen an der Adria in der Antike entstanden, ist diese noch relativ jung, nämlich aus dem 14. Jh. Und dann wechselten die Herrscher fast im Minutentakt: Türken, Venezianer, Österreicher, Serben, Kroaten, Slowenen, Deutsche, jugoslawische Partisanen. Mittlerweile wurde die Stadt dank ihrer schönen Altstadt zum Touristen-Hotspot. Überall blüht gerade der Blauregen, auch andere Pflänzchen erobern sich ihren Lebensraum. Es geht treppauf und treppab mit immer wieder herrlichen Ausblicken auf Wasser und Berge.
In Montenegro wird an diesem Wochenende das orthodoxe Osterfest begangen, weswegen leider auch die Festung Forte Mare – einer der hiesigen Hauptattraktionen – geschlossen ist. Wir pirschen uns von zwei Seiten ran, aber vergeblich. Dafür ist die Kirche am zentralen Platz geöffnet. Die Gläubigen strömen rein und raus, auch eine Gruppe Jugendlicher, die sich ebenso wie alle anderen bei Eintritt bekreuzigen, vor dem Bild der Madonna einen Knicks machen und es küssen. Aus einer Box erschallen sanfte religiöse Gesänge und in einer Ecke brennen knisternd und duftend Bienenwachskerzen. Das hat schon was.



Gegenüber befindet sich die städtische Bibliothek, deren Öffnungszeitenschild uns Rätsel aufgibt.

Letztendlich steige ich hinter das Geheimnis:
Arbeitszeiten der Bibliotheksmitarbeiter: 07:00 – 19:30, 11:00 – 11:30 (Pause), 07:30 – 12:30 (samstags)
Öffnungszeiten für Nutzer: 08:00 – 14:00, 16:00 – 19:00, 08:00 – 12:00 (samstags)
Sehr interessant! Schneller als gedacht, sind wir durch. Nun muss ein Plan her für den Rest des Tages, der übrigens mal wieder viel besseres Wetter bereithält, als vorhergesagt. Wolfram hat seine Entscheidung für kurze Hosen nicht bereut, während meine Füße in Stiefeln vor sich hin dampfen. Ich überlasse mich den Entscheidungen meiner Reisebegleitung und genieße das sehr. Auch mal schön, nichts bestimmen zu müssen. Unsere Fahrt führt uns nun nach Tivat, wohin wir mittels Autofähre zwischen Lepetane und Kamenari übersetzen. Vanessa versucht verzweifelt, ein Ticket zu lösen, aber keiner der Mitarbeiter möchte das Geld. “It´s for free!” Überhaupt ist das Leben hier in einigen Bereichen billiger als bei uns. So bekommt man z.B. für monatlich 10 € Telefontarif 500 GB Datenvolumen! Dafür sind wiederum Lebensmittel ziemlich teuer.
Tivat ist ein Ort, der im Reiseführer so beschrieben wird: “Man muss bereit sein, ihn zu mögen”. Wir sind bereit und schauen uns staunend den Luxus-Yachthafen Porto Montenegro an. Auf Wikipedia heißt es:
“Es ist der erste umfassende hochmoderne Tiefwasser-Yachthafen in der Adria. 600 bis 650 Liegeplätze für alle Größen werden angeboten – dabei werden mindestens 130 Plätze für Superyachten von 30 bis 150 Metern Länge vorbehalten. Das Angebot wird ergänzt durch Luxusappartements, Geschäfte, Restaurants und andere Sport- und Unterhaltungsmöglichkeiten.” Begünstigend ist auch der Flughafen um die Ecke, auf dem wir übrigens morgen (hoffentlich) Georg abholen werden.
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Das ist eine künstliche Welt, die uns sehr an Marbella und mich an die Marina in Dubai erinnern, faszinierend, aber keinesfalls verlockend. Die Geschäfte bieten Waren in absurden Preiskategorien an, aber es scheint ja genug Menschen zu geben, die bereit sind, diese Summen zu zahlen. Ein Kleid, das ich so ähnlich auch schon bei Kik gesehen habe, kostet hier 2700 € und wird eventuell sogar im Angebot gewesen sein. Während ich mit Stielaugen die Luxus-Fummel, -Taschen und -Uhren inspiziere, übersehe ich doch tatsächlich ein wesentliches Detail. Nur durch die von Wolfram und Vanessa gelenkte Blickführung (oder nennt man das “betreutes Sehen”?) lassen mich den Schriftzug auf dem Schaufenster erkennen: ZIMMERMANN. Eigentlich groß genug!
Wir entdecken beim Flanieren eine Kafeterija und lassen uns an einem Tisch mit fantastischem Ausblick auf Wasser und Palmen nieder in dem Bewusstsein, dass das vermutlich der teuerste Kaffee unseres Urlaubs sein wird. Aber egal, den Luxus gönnen wir uns! Voller Verschwendungslust nehmen wir Platz. Doch der Blick auf die Karte zeigt uns sehr moderate Preise. Auch die von einer Kollegin Vanessas angepriesene legendäre Unfreundlichkeit der Bedienung können wir nicht in Anspruch nehmen. Alles ist (Augenzwinkern) so enttäuschend normal. Dafür ist der Kaffee anders als erwartet, aber gut. Wolframs Mocca entpuppt sich als süßer Kakao, aber durchaus lecker und das “Leute gucken” macht auch großen Spaß.
Auf der Heimfahrt zeigt sich Montenegro wieder in voller Schönheit. Das Auge hat zu tun! Berge, Felsen, Wasser, Inseln, üppige, farbenfrohe Vegetation selbst am Straßenrand. Wir nähern uns Kotor über eine Bergstraße und uns bietet sich eine fantastische Sicht über die Bucht samt Kreuzfahrtschiff, das immer noch im Hafen liegt.


Wir haben heute so viel gesessen, dass wir uns nun erst einmal erholen müssen zu Hause. Auch die Katze hat ein enormes Ruhebedürfnis.


Natürlich müssen wir aber noch was essen. Ein von Vanessa favorisierter Imbiss ist leider hoffnungslos überfüllt. Aber die Fleischauslagen dort sind schon faszinierend. Vielleicht klappt es ja nochmal in dieser Woche. Mit dem alternativ besuchten Restaurant sind wir dann aber auch sehr zufrieden. Besonders faszinierend und voller Lebensweisheit überrascht die Wanddeko im Vorraum zu den Toiletten:

Unser Tischgespräch wird sehr belebt durch eine unverhoffte Frage Vanessas an Wolfram und mich: “Worin seid ihr euch eigentlich am meisten ähnlich?” Darüber müssen wir erst einmal nachdenken, aber es kommt eine sehr anregende Diskussion in Gang über Kindheit, Jugend, Geschwister, Erziehungsmethoden bis hin zu eigenen Verletzlichkeiten. Auch dafür liebe ich solche Urlaube. Man kommt ins Gespräch, im besten Wortsinn. Das macht neugierig auf die kommenden gemeinsamen Tage!
Montag, 17. April 2023
Gestern Abend bin ich während des Tagebuchschreibens eingeschlafen. Offenbar hat mich das Einfügen eines Fotos so viel Kraft gekostet, dass ich mitten in diesem Prozess buchstäblich eingefroren sein muss. Um 2 Uhr nachts werde ich wach, meine eisigen Finger kleben noch in derselben Position an der Tastatur. Ich muss einsehen, dass auch unter Aufbietung aller Willenskraft kein vernünftiger Text mehr zustande kommen wird. Aber später den Schreibstau vom Vortag aufzuholen, ist noch nie eine Option für mich gewesen. Man muss sich einfach disziplinieren! Ich stelle mir also den Wecker auf 6 Uhr, dann habe ich noch zwei Stunden Schreibzeit, bis wir alle wie verabredet aufstehen werden. Denn heute müssen wir etwas flotter frühstücken, weil wir Georg vom Flughafen abholen und von dort aus unser gemeinsames Tagesprogramm antreten wollen. Gegen 9 Uhr soll er landen und uns gleich anrufen. Dass der Abflug in Berlin geklappt hat, wissen wir, also kann ja nichts mehr schiefgehen. Es wird 9:30 Uhr, 9:45 Uhr – keine Nachricht. Nun setzt sich das Kopfkino in Gang. Ist was passiert? Konnte das Flugzeug nicht landen? Wurde er bei der Kontrolle nicht durchgelassen? Ist das Flugzeug abgestürzt? Natürlich sagt mir mein Verstand, dass ich spinne. Aber Verstand und Gefühl sind zweierlei Dinge. Währenddessen hat Wolfram sinnvollerweise einfach gegoogelt und in Erfahrung gebracht, dass der Flieger gelandet ist. Er schlägt vor, loszufahren, Georg wird dann schon zu finden sein. Und natürlich war es auch so. Grund für die Verspätung: Es war zu neblig, der Landeanflug musste abgebrochen werden, weil der Pilot die Landebahn nicht erkennen konnte. Erst der zweite Versuch war erfolgreich. Aber nun ist alles gut, unsere Reisegruppe ist vollzählig. Das erste anvisierte Ziel ist Budva, eine der ältesten Siedlungen an der Adria. Sogar Sophokles erwähnt sie in seinen Schriften. Wie fast überall in Montenegro gaben sich die Herrscher die Klinke in die Hand, die üblichen Verdächtigen: Venezianer, Byzantiner, Serben, Österreicher, Ungarn, italienische Faschisten. Hinzu kamen zahlreiche Erdbeben, zuletzt 1979. Wir streben der historischen Altstadt zu und haben von der Zitadelle aus eine fantastische Sicht auf das Meer.








Besonders beeindruckend – die größte Privatbibliothek des Landes mit einer Sammlung über Literatur und Geschichte. Wir entdecken einige Besonderheiten:






Die Kirche vor der Zitadelle erstrahlt voller Farbenpracht in typisch orthodoxem Ambiente:

Nun geht die Fahrt weiter, immer an der Küste entlang Richtung Bar. Vorher legen wir einen Zwischenstopp ein an einem zu Recht angepriesenen Aussichtspunkt (mit Kaffeeautomat). Von dort hat man einen unverstellten Blick auf die Halbinsel Sveti Stefan. Tito ließ die ehemalige Festung in einen exklusiven Hotelkomplex umgestalten. Nur Reiche und Schöne können es sich leisten, dort Urlaub zu machen. Zu den Gästen gehörten Sophia Loren, Kirk Douglas, Günter Grass, Klaus Kinski, Sylvester Stallone, Juri Gagarin, Claudia Schiffer u.v.m. Bis zum bewachten Tor darf man sich heranpirschen oder – wenn man unbedingt auf die Insel möchte – eine Führung für 40 € buchen. Wir begnügen uns mit dem Blick von oben:


Der nächste Stopp auf unserer heutigen Reiseroute ist einer der ältesten Olivenbäume der Welt. Er soll ca. 2400 Jahre alt sein und trägt noch Früchte. 2021 wurden 101 kg geerntet. Der Stamm ist nicht so verschlungen wie bei anderen, sondern sieht aus wie aufgeklappt. Von weitem könnte man denken, es wäre eine Baumgruppe. Was er wohl schon alles erlebt hat! Im Vergleich zu diesem Lebewesen sind wir eine Fußnote der Erdgeschichte.

Außer uns treibt sich noch ein Pärchen dort rum. Er ist ziemlich voluminös und ich versuche, den breiten Stamm zwischen ihn und die Kameralinse zu bringen. Doch immer, wenn ich ihn gerade unsichtbar gemacht habe, läuft er wieder ins Bild. Ich meckere lautstark vor mich hin: “Wenn doch bloß dieser komische Typ mal verschwinden würde!” Dann höre ich ihn reden. Deutsch. Ups!
Nun gehts auf zur entferntesten Station der Tour: die Stadt Bar, die stark muslimisch geprägt ist. Auch hier gibt es wieder eine Altstadt, aber sie besteht nur noch aus Ruinen. 1871 explodierte ein Pulverturm so heftig, dass er die gesamte Altstadt zerstörte und sie aufgegeben wurde. Den absoluten Rest gab dem Gemäuer das Erdbeben von 1979. Man kann noch durch die Gassen und auf der Stadtmauer laufen, sieht die Fundamente der Häuser, der Kirche, der Bäckerei usw. Ein bisschen hat mich das an die zerstörte Altstadt von Küstrin erinnert, die jetzt zu Polen gehört. Auch dort ist das Straßengeflecht noch gut erhalten, einschließlich der Schilder, man kann in die Kellerluken schauen und auch die Treppenstufen zu den Hauseingängen sind noch vorhanden. Aber alles andere ist weg, wie hier. 4000 Menschen haben hier mal gelebt. Nun ist ein Archäologe beauftragt, die Stadt vor dem weiteren Verfall zu bewahren. Blickt man über die Stadtmauer hinweg, ist man beeindruckt von dem gewaltigen Bergmassiv dahinter, einem Wasserfall und einem Aquädukt aus der osmanischen Zeit.
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Witzig ist, dass es jeden von uns in unterschiedliche Richtungen zieht. Ab und zu laufen wir uns über den Weg, um dann wieder auseinanderzudriften. Am Ende finden wir uns alle wieder. Jetzt erwacht langsam der schnöde Hunger in uns, während der nach Kultur für heute gestillt ist. Vanessa entdeckt in ihrem Reiseführer einen Geheimtipp – eine etwas versteckt liegende Badebucht. Es ist in der Tat wunderschön dort. Das jetzt silbrig glänzende Meer schlägt in rauschendem Auf uns Ab ans Ufer, die Sonne gibt ihr Bestes und die wilden Katzen streichen uns um die Beine. Ab und an ein Mensch und einige geschlossene Restaurants. Essen können wir also nichts, aber es ist herrlich hier.


Eine Alternative ist schnell gefunden – Petrovac, ein Urlaubsort der gehobenen Preisklasse. Wir finden ein Lokal direkt über dem Strand mit Blick auf zwei Inseln, eine davon mit kleiner Kapelle auf dem Berg. Dort sollen sich etliche Votivgaben befinden aus Dankbarkeit an die höheren Mächte für Hilfe in Notlagen. Zunächst sitzen wir noch draußen auf der Terrasse, eingewickelt in alles, was uns als Schutz gegen den Wind zur Verfügung steht. Aber dann ziehen wir doch nach drinnen um und blicken lieber aus der warmen Stube aufs funkelnde Wasser.
Auf der Heimfahrt kaufen wir noch ein und dann kann Georg auch sein Zimmer in unserer Ferienwohnung beziehen. Übrigens habe ich ihm von Vanessas gestriger Frage nach den Gemeinsamkeiten von Wolfram und mir erzählt. Wolfram fiel unsere Nachtaktivität ein, mir die Begeisterung für Mathematik und grundsätzlich alle logisch zu klärenden Dinge. Nun hat auch Georg ein Stichwort geliefert: Starrsinnigkeit. Hm. Da muss ich erst mal drüber nachdenken.
Dienstag, 18. April 2023
Wieder mal wache ich auf, kurz bevor mein Wecker klingelt. Ich bin so stolz auf mich! Es gehört eigentlich nicht zu meinen Stärken, pünktlich aufzustehen, weil ich sämtliche Klingeltöne sehr gut ignorieren kann. Ich lausche ins Haus hinein – alles still. Also schnell ins Bad, denn ab heute sind wir morgens zu viert und ein gewisses Zeitmanagement ist hilfreich, wenn Ausflüge geplant sind. Währenddessen ist Vanessa schon fleißig dabei, das Frühstück vorzubereiten. Selbst Georg, der ein ähnlich lockeres Verhältnis zu Terminen hat wie ich, hält sich an den gestern verabredeten Plan. Nach dem Frühstück mit von mir gekochten Eiern in Austernkonsistenz checken alle ihre Wetter-App mit vier verschiedenen Voraussagen. Eins steht fest – heute werden wir wohl mit Regenschauern rechnen müssen, aber wann? Vormittags? Nachmittags? Egal – es bleibt dabei: Heute besteigen wir den Berg direkt vor unserer Nase.

Vorher aber noch der Abwasch, dessen Erledigung ich mich mit Begeisterung widme. Vanessa kann gar nicht glauben, dass ich das ernsthaft aus freien Stücken tue, sondern vermutet dahinter jahrelange Gewohnheit. Es widerspricht ihrem Gerechtigkeitssinn. Jeder sollte mal an der Reihe sein mit dieser unliebsamen Tätigkeit. Ich verstehe ihre Intention total, aber ich liebe Abwaschen wirklich! Meine stets kalten Hände werden warm, ich sehe das Ergebnis meiner Arbeit und erfreue mich an der von mir geschaffenen Ordnung. Es hat was Meditatives (für mich). Ich fühle mich keineswegs ausgenutzt, sondern bin glücklich, wenn man mir das Feld überlässt. Die meisten tun mir gerne diesen Gefallen und alle sind zufrieden. Eine Spülmaschine hat natürlich auch ihre Vorteile, aber in meinem Haushalt kann ich gerne darauf verzichten.
Dann stiefeln wir los zum vermeintlichen Einstieg in den steilen Weg nach oben. Doch dieser und auch weitere Versuche entpuppen sich als Sackgasse. Es dauert eine Weile, bis wir den richtigen Weg gefunden haben, auf dem wir uns nun oberhalb der Altstadt von Kotor auf Serpentinen in die Höhe schrauben.






Für Georg und mich ist das eine gute Übung für die bevorstehende Alpenwanderung. Wegbeschaffenheit und Berge sind sich sehr ähnlich. Ich bilde das Schlusslicht, da ich bergauf nicht die Schnellste bin. Langsam und fast wie ein mechanisches Uhrwerk setze ich einen Fuß vor den anderen und werfe ab und zu mal einen Blick ins Tal. Hinter einer verfallenden Kirche erhebt sich sehr abwehrend eine hohe Mauer der Festung Sveti Ivan. Bereits ab dem 9. oder 10. Jahrhundert wurde sie so konzipiert, dass sie sich aus zwei Teilen zusammensetzte. Einer dieser Bereiche besteht aus Mauern, die den alten Stadtkern umranden und mit drei Türen in Form von Eingängen sowie fünf Bastionen direkt in die Stadt verlaufen. Der andere Teil setzt sich aus Wällen zusammen, am Berg entlang verlaufen und direkt oben an der Festung enden. Insgesamt erreichen die Mauern eine Länge von 4,5 Kilometern.


Wir sehen, dass ab und zu jemand diese Leiter hochsteigt und nicht wieder zurückkommt. Das könnte günstigstenfalls auf einen weiterführenden Weg hindeuten. Kurze Überlegung: Wagen wir es? Kein Thema, aufi! Was sind wir dann froh, das gewagt zu haben! Auf der anderen Seite der Mauer werden wir durch einen atemberaubenden Ausblick auf die Bucht von Kotor belohnt. Wenn jetzt noch ein Kreuzfahrtschiff anlegen würde!

Wie sich herausstellt, folgen aber noch viele Stufen bis zur obersten Plattform. Teilweise ist die Anlage in einem beunruhigenden Zustand, der mich Stoßgebete zum Himmel schicken lässt, dass eine am seidenen Faden hängende Zwischendecke noch so lange an ihrem Platz bleiben möge, wie ich darunter hindurchlaufe. Aber alles geht gut. Ganz oben gibt es sogar eine Art Kiosk – eine Frau verkauft aus der Kühltasche Getränke.


Nun könnten wir den Berg noch weiter hochkraxeln, aber Regenwolken ziehen auf und hüllen die Gipfel in dichten Nebel. Wir entscheiden uns für den Abstieg auf 1350 ausgetretenen Steinstufen. Konzentration ist angesagt. Abwärts bin ich wesentlich schneller als hoch. Ja, ich weiß – das liegt in der Natur der Sache, aber Trittsicherheit ist bei schnellem Springen von Stufe zu Stufe sehr wichtig. Wir kommen an der Kapelle vorbei, die man auch von der Straße aus sieht. Es folgt ein Kreuzweg, aber die Stationen sind in einem erbärmlichen Zustand. Plötzlich stehen wir vor einem Kassenhäuschen. Davon hatten wir schon gelesen. Wenn man diesen Treppenweg von unten nach oben läuft, muss man 8 € bezahlen. Abwärts fairerweise nicht. Vanessa erklärt Entgegenkommenden, dass sie die 8 € sparen können, wenn sie den Weg finden, den wir gegangen sind. Sie nehmen diesen Tipp sehr dankbar entgegen.
Gerade, als wir unten angekommen sind, fängt es an zu regnen und wir beschließen, einen Zwischenstopp bei Kaffee und Keksen in der Ferienwohnung einzulegen. Die Katze Yellow freut sich, uns zu sehen und schnurrt um unsere Beine, lautstark das eben von uns gekaufte Trockenfutter einfordernd. Scheint gut zu schmecken.
Schnell ist das Nachmittagsprogramm besprochen. Wir fahren zur Halbinsel Luštica.


Es gibt im Prinzip nur eine Straße, auf der man die 47 km² Fläche umrunden kann, die zum größten Teil einspurig ist. Kommt ein Auto entgegen, muss man sich arrangieren, was aber gut funktioniert. Wir tauchen in eine völlig andere Welt ein. Nur selten sieht man einen Menschen oder Häuser. Luštica ist sehr dünn besiedelt und auch der Friedhof hat nur wenige “Bewohner”. Alle Gräber sind mit einer Platte abgedeckt, auf der sich Griffringe befinden. Eventuell zum Öffnen im Falle von Zuzug? Wer weiß. Im Reiseführer steht, dass hier für Ruhesuchende das Paradies ist. Also auf der Halbinsel! Aber gut, genaugenommen letztendlich auch auf dem Friedhof.



Auf Grund ihrer strategisch günstigen Lage befanden sich auf der Halbinsel seit dem Ausbau der Marinebasis unter Österreich-Ungarn und auch später bedeutende militärische Einrichtungen, die teilweise noch heute sichtbar sind. wegen der unterirdischen U-Boot-Einfahrten war die Halbinsel bis Ende der 1990er Jahre Sperrgebiet. Wir stromern ein bisschen zu Fuß durch die Gegend und kommen uns vor wie auf einer Wanderung durch heimische Wälder, wenn man die Agaven mal ausblendet. Es soll hier viele Schlangen geben, die teilweise auch in den Bäumen hängen, was unsere Abenteuerlust etwas blockiert. Aber Rose könnte noch interessant sein, ein Geheimtipp für betuchte Urlauber. Hierher zu finden ist nicht einfach, das letzte Stück müssen wir laufen und finden einen verschlafenen Ort vor, der vermutlich nur im Sommer zum Leben erwacht. Man wohnt quasi direkt am Strand. Zwei Männer werkeln vor sich hin, eine Frau schüttelt auf einer Terrasse ihren schicken Schuh aus – das wars dann auch schon mit den Ereignissen. Es herrscht Ruhe pur. Selbst die Brandung des Wassers bemüht sich, niemanden zu stören.






Es ist so leise, dass mein Schnaufen beim Aufstieg zum Auto Lärmbelästigung sein muss.

Kurze Beratung, bevor wir weiterfahren. Vanessa will die Sonne genießen, Wolfram Käffchen und Kuchen, Georg könnte schlafen, soll aber noch kochen und ich finde eine Mischung aus allem gut. Wir kommen zu folgendem diplomatischen Ergebnis: Wir genießen noch 5 Minuten die Sonne, suchen dann ein Café, gehen Zutaten fürs Abendessen einkaufen, Georg kocht, wir essen, ich wasche ab. Perfekt! Wir sind ein gutes Team.
Kaffee und Kuchen verzehren wir übrigens passenderweise bei Wolfi, mit Seeblick!

Mittwoch, 19. April 2023
Kurz vor dem Wachwerden träume ich, dass ich Axel Prahl treffe. Er ist ganz klein und ganz dünn. Er fragt mich verschämt, ob er mal in unserer Bibliothek lesen dürfte, das hätte er sich schon immer gewünscht. Ich nenne ihm ein absurd niedriges Honorar und sage gönnerhaft: “Wenn Sie damit einverstanden sind, können Sie gerne mal unser Gast sein!” Neben ihm steht Fernsehmoderator Jörg Schöneborn und weist Axel Prahl zurecht: “Sie wissen aber schon, dass das Renate Zimmermann ist mit der berühmten Schreibwerkstatt? Erst kürzlich gab es darüber einen großen Artikel in der Zeitung!” Prahl murmelt kleinlaut eine Entschuldigung und schleicht davon. Lachend wache ich auf. Den Artikel gibt es tatsächlich in der Lokalzeitung “Berliner Woche”, aber im Traum erhebe ich ihn quasi zur ZEIT- oder FAZ-Titelstory. Offenbar packt mich jetzt der Größenwahn!
Wir hatten für heute “Ausschlafen!” vereinbart, deswegen stehe ich erst um 9 Uhr auf und habe gleich den nächsten Lachflash. Als ich aus meinem Zimmer trete, öffnet Georg synchron seine Zimmertür gegenüber. Zeitgleich wie auf Kommando. Nun hatte ich also binnen weniger Minuten zum Tagesbeginn schon zwei lustige Erlebnisse, besser kanns ja nicht gehen. Da die Sonne scheint, läute ich für mich nun die strumpflose Sandalensaison ein. Es wird ja auch Zeit! (Dass diese Entscheidung eventuell etwas überstürzt war, merke ich erst später unterwegs, als es Sturzbäche regnet.)
Unser heutiges Tagesziel heißt Cetinje. Um dorthin zu gelangen, gibt es eine normale oder eine spannendere Serpentinen-Straße entlang des Nationalparks Lovćen. Natürlich wählt Wolfram letztere und sorgt damit für Fotomotive ohne Ende. Kotor lassen wir im Sonnenschein zurück und winden uns mit dem Auto in gefühlt identischen Schleifen immer weiter nach oben hinein in eine fette Wolke. In jeder Kurve denkt man: Hier war ich gerade eben schon mal! Wie sich diese Fahrt anfühlt, könnt ihr hier in diesem Video (umgekehrte Fahrtrichtung) nacherleben:
Das Naturschauspiel, das wir erleben, ist sehr faszinierend. Um uns wabern Nebelschwaden, je höher wir kommen, und unten im Tal leuchtet Kotor in der Sonne.








Links hinter einer Mauer der Abhang, rechts erhebt sich der dampfende Wald. So zieht sich das ca. 25 km hin, als hätten wir für immer die Zivilisation verlassen. Und plötzlich – Zack – ist der Nebel weg und Häuser rechts und links zu sehen. Am Straßenrand locken Buden mit Krimskrams, Nippes und traditioneller Wollbekleidung. Sofort springt mir ein Fummel ins Auge und das Shopping-Fieber erwacht. Auch ein Reisebus hat seine Ladung deutscher Touristen dort ausgekippt. Ich steuere gezielt auf meine Beute zu. Anprobiert – gekauft. Dann noch kleine, buntbemalte Flöten für meine Nachbarskinder als Dankeschön, dass sie sich um meine Zebrafinken kümmern. Fertig. Es kann weitergehen!
In Cetinje angekommen, regnet es Bindfäden. Wir bleiben einfach erstmal im Auto sitzen. Mein Reiseführer weiß zu berichten, dass der Schriftsteller George Bernhard Shaw hier mal zu Gast war und nach sieben Tagen Regen nach Bar flüchtete. Als er zurückkam, regnete es noch immer. Solche Geschichten stimmen uns nicht gerade optimistisch, zumal im nächsten Satz noch verkündet wird, dass Cetinje die niederschlagsreichste Stadt Montenegros sei. Doch das Wetter beruhigt sich und wir erklimmen den Adlerfelsen, der schon von unten gut zu sehen ist.





Das Mausoleum auf dem Adlerfelsen gehört zu den historischen Highlights der alten königlichen Hauptstadt Cetinje. Erbaut worden ist es 1896 zu Ehren des Gründers der Dynastie Bischof Danilo Petrovic und ist offizielles Kulturdenkmal Montenegros. Der Weg nach oben ist kurz, aber steil. Das heißt: Ich komme oben an, als die anderen schon fertig sind mit dem Rundumblick. Aber ich habe unterwegs wegen meiner Schneckengeschwindigkeit Zeit gehabt, wilden Schnittlauch zu entdecken und zu ernten. Kurz noch ein paar Worte zu Cetinje:
“Bis 1918 war es Hauptstadt des Landes. Noch heute ist es Amtssitz des Präsidenten, aber nicht der Regierung. Fürst Nikola (1860–1918) baute den kleinen Ort aus, dessen Unabhängigkeit 1878 international anerkannt worden war. In dieser Zeit wurden Wasserleitungen verlegt, eine Straßenbeleuchtung eingerichtet sowie mehrere Schulen, ein Krankenhaus, ein Museum und ein Gebäude für das Staatsarchiv gebaut. Die europäischen Großmächte errichteten Botschaften, die das neue Stadtbild mitprägten.” (Wikipedia)
Auch Deutschland hatte dort eine Niederlassung für die Kaiserliche Gesandtschaft. Heute sieht das Haus so aus:



Im Großen und Ganzen modert die Stadt ein bisschen vor sich hin. Tourismus gibt es kaum, aber ein Kloster, viel Kunst, Denkmäler, Skulpturen, einen Park und eine Musikschule. Man ahnt noch die einstige Pracht mancher Gebäude. Meine Jungs sind der Meinung, dass sie dieser Ort in seiner Struktur sehr an Meiningen erinnert, mal davon abgesehen, dass dieses besser in Schuss ist.




Auf der Heimfahrt machen wir einen Abstecher zur Blumeninsel, eine der drei Inseln im Becken von Tivat. Unweit der Ruinen des einstigen Klosters befindet sich eine orthodoxe Kirche. AEinstmals bestimmt schöne Ferienwohnungen zerfallen größtenteils oder werden teilweise noch von Flüchtlingen bewohnt. Trotzdem hat die Anlage ihren Charme. Vor allem im Uferbereich gibt es viele lauschige Plätze.








An einer Wand ist eine Inschrift zu lesen, deren Übersetzung sehr nachdenklich macht:

Zu Hause angekommen, bilden wir Zweierteams. Wolfram und Vanessa gehen eine Runde am Wasser spazieren und später Fußball gucken (FC Bayern verliert in der Champions League gegen ManCity). Georg und ich stromern durch die Altstadt, entdecken Katzen-Hotspots und romantische Gassen, schauen uns das Kreuzfahrtschiff im Hafen aus der Nähe an und Georg erzählt, dass er sich so eine Reise auch vorstellen könnte. Man sieht viel von der Welt, muss sich ja nicht zwingend den gesellschaftlichen Gepflogenheiten an Bord unterordnen und hinterlässt obendrein einen geringeren ökologischen Fußabdruck, als wenn man als Individualtourist durch die Gegend tourt. Die Argumentation hat was für sich, trotzdem würde ich lieber das Fortbewegungsmittel eigene Füße wählen. Aber beeindruckend ist so ein Schiff auf jeden Fall – und dieses hier ist relativ klein.






Morgen ist der letzte komplette Tag hier in Montenegro und wenn es das Wetter zulässt, werden wir wandern.
Donnerstag, 20. April 2023
Vorerst möchte ich mich bei allen interessierten Leserinnen und Lesern für den verspäteten Bericht entschuldigen. Nach der Wanderung gestern und einem opulenten Abendessen im Steakhouse war ich nicht mehr in der Lage zum schreiben. Ging einfach nicht. Sonst schafft es ja meistens mein schlechtes Gewissen, gekoppelt mit Pflichtbewusstsein, meine Müdigkeit im Zaum zu halten, egal, wie spät es ist. Dieses Mal nicht.
Nachdem wir vor ein paar Tagen den Berg oberhalb der Altstadt erklommen haben, wollen wir heute eine etwas längere Tour über den Berg gegenüber unternehmen. Der Reiseführer empfiehlt die Route als leichte Halbtagswanderung, was mir bei zu überwindenden 750 Höhenmetern fraglich scheint. Aber egal – wir sind alle hochmotiviert. Diese Karte zeigt die uns bevorstehende Strecke:

Zunächst müssen wir zum Beginn des Wanderweges in Muo laufen, ca. 1 km von unserer Ferienwohnung entfernt. Plötzlich gibt es hinter mir einen lauten Knall. Georg hat seine Glaswasserflasche fallen lassen, genau vor einer Bäckerei. Nun liegt dort vor der Tür ein Scherbenhaufen. Georg versucht, alles mit dem Fuß in eine Ecke zu schieben, aber ich bestehe darauf, dass das nicht so bleiben kann. Ich würde mich auch ärgern, wenn jemand vor meinem Laden so ein Chaos anrichten und dann verschwinden würde. Wir lassen uns Schaufel und Besen geben und zumindest mein Gewissen ist wieder mit sich im Reinen. Dann haben wir den Wegeinstieg gefunden und müssen zunächst sehr, sehr viele Treppen steigen. Die blühenden Grasflächen lenken von der Anstrengung ab.


Aber trotzdem gut, dass ich hier noch nicht weiß, was uns bevorsteht. Der Weg geht nun über in Serpentinen. Im Prinzip erledigen wir jetzt zu Fuß, was wir neulich mit dem Auto erlebt haben. Eine Kehre folgt und ähnelt der nächsten und hinter jeden Kurve hofft man, dass das nun die letzte war.






Zwischendurch wird der Wanderer aber immer wieder belohnt mit tollen Ausblicken auf die Bucht von Kotor, Begegnungen mit schönen Tieren und Pflanzen.






Irgendwann sind wir aber doch an der ersten Station angekommen – dem österreich-ungarischen Fort Vrmag. Es wurde zwischen 1894 und 1897 erbaut und im 1. Weltkrieg stark beschädigt. Wenn man eine leistungsstarke Taschenlampe hat und die Neugierde stärker ist als die Angst, kann man sich auch innen umschauen. Mein Mut reicht nur bis zum Flur, dann bin ich wieder raus. Georg ist tatsächlich bis ins oberste Stockwerk gekrabbelt. Ein Lost Place, der manche begeistern würde.
