Archiv des Autors: Renate Zimmermann

Über Renate Zimmermann

Leidenschaftliche Fußgängerin, Bibliothekarin, Leiterin der Schreibwerkstatt Marzahn und Organisatorin von Reisen und Projekten, hier dokumentiert.

Mund zu – Augen auf! Performativer Streifzug durch die Marzahner Promenade mit Susanne Soldan

02. September 2023. Ein Tag, mit dessen Programm man auch ein ganzes Wochenende füllen könnte. Drei Ereignisse locken die Menschen in die Mark-Twain-Bibliothek:

  • Schreibwerkstatt für Jugendliche wie jeden ersten Samstag im Monat
  • “Stadteinschreibungen” – ein performativer Streifzug durch die Marzahner Promenade mit Susanne Sodan
  • Kultursommerfestival der Berliner Bibliotheken mit dem Theater Feuervogel und Sonny Thet

Letztere zeigen im Hof des Freizeitforums eine beeindruckende Fantasy-Show mit romantischer Musik, Nebel, tollen Kostümen, Stelzenlauf und dem verträumten Cello-Spiel von Sonny Thet.

Die Schreibwerkstattinteressierten treffen sich wie gewohnt zwei Etagen höher in der Artothek.

Mit am reichgedeckten Tisch sitzt unser Gast Susanne Soldan, die uns heute zu einem ungewöhnlichen Spaziergang über die Marzahner Promenade eingeladen hat. Zunächst aber gibts nach der Vorstellungsrunde erst einmal Geschenke für die Geburtstagskinder des vergangenen Monats. Es folgt eine sehr beliebte Aufwärmübung zur Lockerung der Synapsen in der kreativen Ecke unserer Köpfe: das Umknick-Schreibspiel.

WER | MACHT WAS | WANN | WO | MIT WEM | WARUM.

Dabei entstehen zwangsläufig ziemlich schräge Nonsens-Sätze, die aber auch oft sehr lustig sind und die ohnehin gelöste Stimmung beflügeln. Ein guter Zeitpunkt, um uns auf den Weg zu machen, die Marzahner Promenade mal mit anderen Augen, aus ungewohnter Perspektive und vor allem stumm neu zu entdecken. Nach einer kurzen Einweisung in die “Spielregeln” durch Susanne gehts dann auch schon los. Der Fokus liegt auf Lücken jeglicher Art.

Wir strömen in verschiedene Richtungen aus, finden wieder zusammen, beobachten uns gegenseitig und werden beobachtet, mäandern hin und her, umarmen Bäume und klettern darauf rum, befühlen Erde, Pflanzen und Fassaden, pulen in Spalten und Ritzen, ohne zu wissen, was uns dort erwartet, setzen und legen uns ins Gras und auf Beton, kriechen unter Werbeschilder und Geländer, üben uns in fließenden und synchronen Bewegungen, schaukeln, verstecken und drehen uns. Alles ist möglich, anfängliche Befangenheit fällt von uns ab, wir werden mutiger, unbeschwerter, neugieriger, aufmerksamer, ruhiger, fühlen uns in der Gruppe zusammengehörig und beschützt. Wir spüren den Einfluss der Umgebung auf uns und lassen es zu, nehmen das Zusammenspiel von Elementen der Stadtlandschaft wahr, von Architektur, Grün- und Spielanlagen.

Seit Jahren laufe ich fast täglich hier entlang, doch noch nie ist mir aufgefallen, dass die Wörter auf den im Boden eingelassenen Bronzeplatten in einem Zusammenhang mit den sich drehenden Bänken stehen. Sitzt man kreisend darauf, macht plötzlich alles Sinn:

Ost | Süd | West | Nord

Trauer | Wut | Ruhe | Freude

Feuer | Wasser | Erde | Luft

Ich fühle mich auf wundersame Art geerdet, genordet und ruhig. Um mich herum ganz besondere Menschen, die sich wie ich auf dieses Experiment eingelassen haben und meine Augen durch ihre Bewegungen auf Dinge richten, die ich so noch nie gesehen habe. Das meiste macht plötzlich Sinn. Manches wirft Fragen auf. Warum gibt es auf dem Platz so eine Art Schienen, die in das Pflaster eingelassen sind? Was hat es mit den Blutspuren auf sich, die uns allen aufgefallen sind?

Auf den Gullideckeln sind Berliner Wahrzeichen abgebildet. Den Fernsehturm, die Siegessäule, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, das Olympiastadion, das Brandenburger Tor und den Reichstag habe ich erkannt, aber das Bundeskanzleramt nicht. Wieder was dazugelernt.

Erstaunlicherweise wundert sich kaum jemand über unser seltsames Verhalten, nur ein paar Männer am Tisch vor einer Kneipe beobachten uns mit gelassenem Interesse.

Schneller als gedacht ist eine Stunde vergangen und wir laufen, unseren Gedanken nachhängend zurück zur Bibliothek. Dort verarbeiten wir schreibend unsere Eindrücke. Die Ergebnisse sind beeindruckend:

Ganz herzlichen Dank an Susanne Soldan! Dieser Nachmittag hat uns alle an Erfahrungen reicher gemacht!

Wie immer geht auch heute die Schreibwerkstatt mit den Werwölfen in die letzte Runde. Die Stimmung ist gelöst und Eddie legt noch ein kleines Tänzchen hin:

Ganz besonders aber haben mich die Worte von Nele gerührt, die demnächst nach Darmstadt zieht und trotzdem weiterhin zu den Schreibtreffen kommen möchte:

Die Schreibwerkstatt ist wirklich eins der schönsten Dinge hier in Berlin, die ich kennengelernt habe und die mich innerlich zwingen werden zurückzukommen. So viele tolerante, nette, kreative, offene, lustige, coole Seelen alle an einem Ort (und ALLE sind toll! ALLE), das habe ich noch nie erlebt!

Schreibnacht mit Krimidinner

Jedes Jahr ist die Schreibnacht eines der beliebtesten Highlights des Jahres. Dieses Jahr sogar wieder mit Krimidinner, das von drei Teilnehmerinnen akribisch vorbereitet wurde. Die Story dahinter war ein Familiendrama, dass sich anlässlich einer Trauerfeier zum Gedenken des Familienoberhauptes abspielte.

Im Laufe des Spiels kamen viele unangenehme Familiengeheimnisse ans Tageslicht, so dass sich am Ende alle bis dahin vermeintlichen Wahrheiten als Lügen herausstellten. Eine sehr gut konstruierte Geschichte, in deren Rollen alle zu Höchstformen aufliefen.

Da ich im Laufe der Vorbereitungen irgendwann den Überblick verloren hatte, wer und wie viele eigentlich an der Nacht teilnehmen wollen, war ich selbst auf die Teilnehmerzahl gespannt. 33 Jugendliche schlugen sich letztendlich mit Vergnügen die Nacht um die Ohren. Von einer Kollegin und mir betreut, kamen auch alle anderen, die keine Rolle beim Krimidinner abbekommen hatten, auf ihre Kosten. Gaming, Schreiben, Brettspiele und eine Mitternachtslesung sorgten für eine abwechslungsreiche Nacht mit einem vielfältigen Buffet für den großen Hunger.

Manche verkrümelten sich auch lesend in unseren schönen Dachgarten.

Gegen 4 Uhr morgens kehrte dann etwas Ruhe ein und inspiriert von dem Geist der vielen Bücher schliefen einige auch tief und fest.

Am Sonntagmorgen gabs ein gemeinsames Frühstück, für das Bianca und ich am Samstag die Zutaten eingekauft hatten. Einige waren um diese Uhrzeit noch sehr wortkarg.

Es war wieder sehr inspirierend und alle freuen sich auf die nächste Übernachtung in der Bibliothek.

HIER gibts weitere Fotos.

Ein Phänomen wird zur Normalität

Langsam gewöhne ich mich an die Schreibtreffen mit TN-Zahl in Klassenstärke. Auch unser Junitreffen konnte erst beginnen, nachdem wir noch drei Tische hinzugeholt und alle einen Platz gefunden hatten. Eine Stunde vor Beginn traf sich die Gruppe Jugendlicher, die im Mai in Bad Hersfeld zum Treffen der Literanauten waren und die Gruppe, die Ende Juni / Anfang Juli nach Eisenhüttenstadt fährt.

Die Literanauten haben in Bad Hersfeld in verschiedenen Workshops Methoden vermittelt bekommen, die ihnen dabei helfen sollen, mit anderen Jugendlichen in Sachen Lesen, Erzählen, Schreiben und Videos zu interagieren. Sie haben sich also dort das Rüstzeug geholt für unsere Mission in Eisenhüttenstadt. Was hat es damit auf sich? Sehr gut zusammengefasst ist das in diesem rbb-Beitrag:

Platz der Jugend Eisenhüttenstadt | rbb (rbb-online.de)

Martin Maleschka hat bei uns angefragt, ob wir uns bei der Wiederbelebung dieses Lost Place einbringen wollen. Na klar wollen wir! Mit dem Handwerkszeug von Bad Hersfeld haben wir also bei unserem Treffen Möglichkeiten überlegt, wie wir uns einbringen können:

  • Bild-Kunst-Werkstatt: Mit Edding oder Farbe Texte / Sprüche an Wände oder auf
    Plakate schreiben
  • Erzählwerkstatt: Jugendliche von damals und heute erzählen uns ihre Geschichte
    oder Erlebnisse, die sie mit dem Platz verbinden. Wir erzählen die Geschichte neu.
  • Schreibwerkstatt: Wir schreiben Geschichten über Personen, erfinden neue
    Figuren und verorten diese am Platz der Jugend.
  • Film-Werkstatt: Wir erstellen einen Book-Trailer oder halten unsere Eindrücke in
    einem Kurzvideo fest. Foto-Idee: Wir suchen oder fertigen einen Rahmen an, der als
    Bilderrahmen dient. Durch ihn fotografieren wir den Platz.

Im Juli findet die Schreibwerkstatt also in Eisenhüttenstadt statt. Während unserer Besprechung trudelten dann die anderen ein und wir konnten um 14 Uhr pünktlich beginnen. Zunächst bewunderten wir gerahmte Gedichte von einigen aus unserer Runde, die momentan die Artothek schmücken.

Sie werden am Montag zur Lyrik-Lesung “Poets´ Corner” dank der wundervollen grafischen Gestaltung durch unsere Azubis als lyrischer Rahmen dienen.

Mit dem beliebten Umknickspiel wärmten wir uns auf. Bei 25 TN dauert das schon mal eine ganze Weile, macht aber riesigen Spaß.

Danach widmeten wir uns drei verschiedenen Schreibaufgaben, darunter einer, die Cassy mitgebracht hatte.

Das waren vier Ausgangsszenarien, die man weiterdenken sollte. Hier sind zwei Beispiele:

Und natürlich – wie immer – gabs zum Schluss noch eine sehr lange Runde Werwolf.

Vic hat mir beim Aufräumen geholfen und um 20:30 Uhr war ich zu Hause. Erledigt, aber trotzdem beflügelt. Kein Wunder, denn ich habe vom Fanclub der “Renatisten” erfahren!

Ein Phänomen

Es ist ein Phänomen – die Beliebtheit der Schreibwerkstatt ist ungebrochen und zieht wie ein Magnet monatlich neue schreibaffine, junge Menschen in die Mark-Twain-Bibliothek. Und das gänzlich ohne Werbung! Ehrlich gesagt, bin ich selbst total fasziniert von der Eigendynamik, die sich offenbar in den Jahren entwickelt hat. Ich komme kaum mit Namen lernen hinterher und mache dann auch mal Maria zur Paula. Was treibt die Jugendlichen jeden Monat in Scharen in die Bibliothek, um ihre Freizeit unter Anleitung einer alten Frau zu verbringen? Natürlich könnte man auch fragen: Was stimmt nicht mit mir, dass ich meine Wochenenden freiwillig mit Jugendlichen verbringe, die meine Kinder oder teilweise sogar meine Enkel sein könnten? Kurze Antwort: Es ist ein Geben und Nehmen. Ich liebe das Experimentieren mit Sprache, ermuntere dazu mit Schreibspielen und bin jedes Mal überwältigt, welch reflektierte, fantasievolle und kluge Texte dadurch entstehen. Am liebsten würde ich mit allen meine Erkenntnisse, Erfahrungen, Erlebnisse teilen, ihnen Welten eröffnen, die nicht in ihrem Fokus liegen. Ein bisschen ist mir das vielleicht gelungen. Die Jugendlichen lassen mir gegenüber Behutsamkeit und Milde walten. Sie mögen mich, glaube ich und sind dankbar für die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten zu treffen und sie selbst sein zu dürfen. Ich schätze sie alle sehr und sie geben mir Hoffnung, dass die Welt nicht verloren ist.

Wir haben heute zuerst auf Papier gechattet. Jeder hatte vor sich eine Meldung aus Politik und Gesellschaft zu liegen, zu der er einen Kommentar schreiben sollte. Dann wurde das Blatt weitergereicht und der Nächste hat entweder zur Meldung oder zum Kommentar einen Kommentar geschrieben. Die Ergebnisse waren so authentisch wie echte Facebook-Posts. Ziemlich schräg!

Die zweite Aufgabe bestand darin, zu einer Postkarte die Gedanken in einzelnen Wörtern auf kleine Zettel zu schreiben und diese anschließend zu einem Gedicht zu verbinden. Hier sind die Ergebnisse:

Die dritte Schreibaufgabe bestand darin, auf eine ausgewählte philosophische Lebensfrage mit Fragesätzen zu antworten. Das war eine sehr interessante Erfahrung, weil sich dadurch immer neue Gedankenfenster öffneten. Zur nächsten Schreibwerkstatt wollen wir dann auf diese Fragen antworten. Hier sind die Fragen:

Wie immer endete der Nachmittag mit Werwolf und langen Gesprächen danach. Schön wars!

Leipziger Buchmesse 2023

Mit zwei Reisebussen fuhren am 30. April ab Freizeitforum Marzahn 91 Lesebegeisterte zur Leipziger Buchmesse, organisiert von der Mark-Twain-Bibliothek. Darunter auch etliche junge Leute aus der Schreibwerkstatt Marzahn, deren Vorliebe überwiegend Halle 1 galt. Ihr Outfit hatten sie entsprechend angepasst. Die Liebe zu Büchern schlug sich bei einigen im Erwerb von regelrechten Büchertürmen nieder. Es war ein erlebnisreicher, wunderschöner Tag. Hoch lebe das Buch!

Wir sind in der Zeitung!

Zur letzten Schreibwerkstatt war der Journalist Philipp Hartmann zu Besuch, um mit einigen der Teilnehmer kleine Interviews zu führen. Daraus ist ein Artikel in der Berliner Woche erschienen, der sehr gut widerspiegelt, aus welchen Beweggründen die jungen Leute zur Schreibwerkstatt kommen.

https://www.berliner-woche.de/marzahn/c-kultur/kinder-und-jugendliche-sind-total-kreativ_a377273

Rekord gebrochen

In meinem letzten Beitrag über die November-Schreibwerkstatt hatte ich schwer beeindruckt von 24 Teilnehmern gesprochen – einer bis dahin nie erreichten Menge an Schreibinteressierten. Heute saßen 26 junge Autorinnen und Autoren an der großen Tafel in der Artothek der Mark-Twain-Bibliothek, im Prinzip eine komplette Schulklasse, nur dass die Altersspanne sich zwischen 12 und 38 bewegte. Es ist immer wieder faszinierend, wie gut der respektvolle Umgang miteinander funktioniert!

Heute hatten wir alle unsere entstandenen Texte unter das Motto “Sehnsucht” gestellt. Grund dafür ist ein überregionales, gemeinsames Projekt deutschsprachiger Bibliotheken. Jeder Mensch kennt das Gefühl der Sehnsucht und zu Beginn eines neuen Jahres ist der beste Zeitpunkt, diesen Hoffnungen und Erwartungen auf Neues entgegen zu spüren. Bücher und Begegnungen transportieren Sehnsucht, deshalb liegt für Bibliotheken nahe, die Frage nach der Sehnsucht in dieser ganz besonderen Zeit aufzugreifen.
Mit dem Slogan „Sehnsucht ist …“ starten jetzt zahlreiche Bibliotheken in ihr Programm 2023. Die teilnehmenden Bibliotheken entwickelten gemeinsam Ideen: Von Flaschenpost über Feldpost bis zum Speed Dating am Valentinstag, kreativen Sehnsuchts-Workshops, Lesungen, Silent Reading-Partys und vielem anderen reicht die üppige Vielfalt des Programms.

Der Beitrag der Mark-Twain-Bibliothek wird sein:

  • Ausstellung im Juli / August: “Feldpost – Zeugnisse der Sehnsucht” mit Originalbriefen, Postkarten und Malerei von Angehörigen, dazu eine Lesung oder Vortrag zum Thema
  • Erstellen eines Lesezeichens mit dem Sehnsucht-Motiv auf der Vorderseite. Die Rückseite bietet den Leserinnen und Lesern Gelegenheit, ihre Assoziationen zum Thema aufzuschreiben. Das Lesezeichen wird in jedes neue Buch gelegt, so dass es mit ausgeliehen wird. Nach Rückgabe werden beschriftete Lesezeichen entnommen und in einer Broschüre präsentiert.
  • Wenn es passt, werden die Aktivitäten der Bibliothek unter das Sehnsuchts-Motto gestellt (Schreibwerkstätten, Bastelnachmittage, Literaturstammtisch, Musikveranstaltungen)November 2023: Kreativnacht für Erwachsene zum Thema “Sehnsucht”
  • Podcast zum Thema “Sehnsucht”

So haben wir zunächst ein Akrostichon zu Sehnsucht geschrieben und danach ein Elfchen. Nach diesen Aufwärmübungen war es Zeit für einen längeren, individuellen Text, wieder inspiriert von Überlegungen, was Sehnsucht für uns bedeutet. Dabei entstanden sehr tiefsinnige, berührende Geschichten, Balladen und Interpretationen, die alle später in der geplanten Broschüre wiederzufinden sind. Es erfordert viel Vertrauen in die Gruppe, sein tiefstes Inneres offenzulegen, gerade bei solch einem Thema. Viele haben das Ergebnis vorgelesen, es wurde behutsam diskutiert und Anerkennung ausgesprochen.

Zur Schreibwerkstatt gehört auch immer eine Vorleserunde, in der zuhause Geschriebenes vorgestellt werden kann. Auffällig war dabei, dass sich fast alle Texte mit der Klimaproblematik befassten, ein Thema, dass viele umtreibt.

Bei so vielen Teilnehmern vergeht die Zeit wie im Flug, so war es dann schon 18:45 Uhr, als die traditionelle Werwolf-Jagd begann und erfolgreich für die Dorfbewohner endete. Ein sehr bereichernder Nachmittag!

Rekord

Mittlerweile haben sich die Treffen der Schreibgruppe fast verselbstständigt. Es ist direkt ein Phänomen, dass es ohne Werbung immer mehr Teilnehmer werden. So ergab es sich, dass zum letzten Schreibzirkel am 8.11. noch Tische und Stühle geholt werden mussten, um genug Platz für alle zu schaffen. 24 Interessierte versammelten sich um die lange Tafel, darunter fünf “Neuzugänge”.

Vorher aber fand schon eine Probe für unsere Storytausch-Lesung am 26.11.2022 statt, zu der wir unser neues Buch “Funkstille” präsentieren wollen, das wir mit dem Thriller-Autor Vincent Kliesch geschrieben haben. Das Besondere an diesen jährlichen Lesungen ist, dass nicht einfach nur Textauszüge gelesen werden, sondern einzelne Situationen im Buch auch szenisch dargestellt werden. Deswegen ist ein praktischer Durchlauf immer sehr wichtig.

Somit war also die Hälfte der Anwesenden schon seit 12 Uhr da und hielten zum größten Teil auch bis zum Schluss um 18 Uhr durch. Zunächst erstellten wir zum Vornamen eines anderen aus der Runde ein Akrostichon, mit dem wir demjenigen eine kleine, heitere Persönlichkeitsbeschreibung zukommen ließen.

Danach gabs mehrere Schreibaufgaben zur Auswahl. Die meisten entschieden sich dafür, ihren Schatten zu beschreiben, der plötzlich nicht mehr ihr eigener war. Andere schrieben eine Zahlengeschichte. Die dritte Gruppe beschrieb eine Situation auf dem Dach der Bibliothek oder welche Nutzung man sich dort vorstellen könnte. Einer machte den Vorschlag, auf der Ebene der Balustrade in der 1. Etage ein Trampolin einzubauen, auf das man vom Dach aus springen könnte. Ein schöner Traum!

Cassy stellte zum Schluss noch einen eigenen Text vor, den sie zur Veranstaltung Lesenacht an der M8 im Repertoire haben wird. Er machte neugierig auf ihre anderen Texte!

Natürlich ist Schreibwerkstatt ohne Werwolf nicht denkbar, und so endete auch dieses Treffen mit einer sehr langen Spielrunde, die überraschende Wendungen zeigte.

Nun konzentrieren wir uns erst einmal auf die Storytauschlesung. Unser nächstes Treffen findet am 03.12.2022 um 14 Uhr statt.

Für alle, die auch mal am Storytausch teilnehmen wollen, ist der 14.12.2022 sehr wichtig. Um 14 Uhr besucht uns Markus Heitz, mit dem wir 2023 eine Fantasy-Geschichte schreiben werden. Mehr dazu findet ihr HIER.

Kleine Geschichten: Ansichtskarten aus Marzahn

Heute hatten wir einen Gast eingeladen, der mit einer spannenden Schreibidee zum Thema Ansichtskarten den Nachmittag bereicherte. Postkarten? Was ist das? Ben Kaden hat ganz viele mitgebracht und erklärt zunächst, wie das früher so lief mit diesem damals sehr beliebten und auch notwendigen Kommunikationsmittel.

Eine Ansichtskarte hat zunächst zwei Seiten: eine Bildseite und eine Nachrichtenseite. Auf die Nachrichtenseite kann man, eine kleine Schrift vorausgesetzt, etwa 500 Zeichen schreiben. Weniger wäre aber oft lesbarer. Das ist nicht viel. Und dennoch kann man, so die Behauptung, damit etwas erzählen.

Die Bildseite ist eine andere Geschichte, denkt man. Aber nicht notwendigerweise. Vielleicht ist sie auch nur ein anderes Kapitel derselben kurzen Geschichte.

Eine Ansichtskarte ist zugleich ein Medium der Verbreitung. Jede Nachricht einer Karte sucht ihr Publikum. Auch das ist naturgemäß sehr klein. Aber wenn es das richtige ist, ist das manchmal alles, was man braucht.

In einer kleinen Schreibsession wollen wir ausgehend vom Medium der Ansichtskarte sehr kurze Geschichten entwickeln, auf Karten schreiben und vielleicht sogar verschicken. Nun ist die Gruppe gefragt als Kartenschreiber. 20 junge Leute füllen die Rückseite von Karten mit drei verschiedenen Motiven aus. Ziel: Sie bekommen alle Adressaten und werden nachher in den Briefkasten geworfen. Die Empfänger werden staunen!

Vorgelesen wird natürlich auch. Manche haben es geschafft, erstaunlich lange Geschichten auf dem begrenzten Platz unterzubringen. Es sind sehr originelle und fantasievolle Texte entstanden.

Klein, aber fein

Mein erster Gedanke: Das ist der Tiefpunkt meiner Schreibwerkstatt-Karriere! Sonst strömen normalerweise schreibwütige Jugendliche um 14 Uhr zielstrebig in die Artothek, dem Treffpunkt der Schreibwerkstatt. Meistens reichen dann sogar die Plätze um den großen Tisch herum nicht aus. Dieses Mal saß ich mit vier Teilnehmern ratlos da. Kommt noch jemand? Diese Frage stand uns allen ins Gesicht geschrieben. Ein paar Nachzügler trudelten dann tatsächlich noch ein, so dass wir am Ende zu neunt waren. Aber es stellte sich heraus, dass auch so kleine Runden ihren Reiz haben und einige Vorteile bieten. Es gibt nämlich viele Schreibspiele, die für große Gruppen ungeeignet sind, weil sie einfach zu lange dauern. Also nutzten wir die Chance und probierten das Brettspiel “Fliegende Zeilen: Ein poetisches Spiel um Sinn und Unsinn” aus. Die fliegenden Zeilen von bekannten Dichtern und Denkern findet man in einem nummerierten Versverzeichnis. Der Spielleiter würfelt eine Aufgabe und liest sie vor. Zum Beispiel:

  • Ergänzen Sie die Zeile im Sprachduktus eines Bibelverses!
  • Ergänzen Sie die Zeile zu einem Krimi!
  • Übersetzen Sie die Zeile in Jugendsprache!

Danach muss er 3x hintereinander würfeln. Die dreistellige Zahl führt zur zu verwendenden Zeile, die folgendermaßen lauten kann:

  • wenn das Auge versteinert
  • Ich werf mich auf mein Lager hin
  • Oh Mutter, was ist Hölle?
  • Ich bin der Welt abhanden gekommen

Nun müssen die Teilnehmer in 1,5 Minuten (die Sanduhr läuft mit) die Aufgabe möglichst originell lösen. Anschließend wird vorgelesen und mittels Bewertungskarten von 1-5 vergeben die anderen für jeden Punkte. Wer am Ende die höchste Punktzahl erreicht hat, hat gewonnen. Das hat riesigen Spaß gemacht und hat sich tatsächlich über 2 Stunden hingezogen.

Noch ein schönes Erlebnis: Eine der treuen Seelen ist seit einigen Monaten in Japan. Sie hält aber den Kontakt zu den anderen Teilnehmerinnen und hat mir einen Brief zukommen lassen. Große Freude!

Er ist adressiert “An die liebreizende Renate”, was mein anfängliches Stimmungstief wieder ausgeglichen hat. Danke, Henriette!

Die nächste Schreibwerkstatt ist integriert in die Veranstaltung der Bibliothek zum Kultursommerfestival am 03.09.2022 von 10 – 14 Uhr. Genaue Informationen dazu findet man hier: https://www.berlin.de/bibliotheken-mh/aktuelles/veranstaltungen/kultursommerfestival-berlin-in-marzahn-1230282.php Alle sind herzlich dazu eingeladen, diese Zettel mit Poesie zu füllen und unter Anleitung von Antonia Isabelle Weisz ein Text-Gebinde zu gestalten, das sich inhaltlich auf die Bibliothek bezieht. Draußen auf dem Platz gibt es dazu mitreißende Musik zu hören.