Göriach im Lungau 2014

Samstag, 12.07.14
Nach drei Stunden Schlaf ist für mich die Nacht zu Ende. Glücklicherweise ist Wolfram gerade zu Besuch und hat sich bereiterklärt, mich zum Bahnhof zu fahren, so dass sich meine Nachtruhe um eine halbe Stunde verlängert hat. Um diese Zeit kommt man ganz entspannt auf Berlins Straßen voran, so dass ich schon eine halbe Stunde vor Zugabfahrt an Ort und Stelle bin. Der Zug ist pünktlich und bringt mich zu meinem ersten Etappenziel München.  Ich sitze mit einem jungen Pärchen an einem Vierertisch. Die Sitze sind sehr bequem, aber es herrscht unter dem Tisch ein ständiger Kampf darum, wer wohl als Nächster seine Beine ausstrecken darf. Alle dösen vor sich hin. Ich beschließe irgendwann, mein diesjähriges Urlaubstagebuch zu beginnen und entdecke beim Öffnen des Schreibprogramms auf meinem Tablet den Bericht vom letzten Jahr. Ich schmökere ein bisschen darin und probiere die diversen Einstellungsoptionen aus. Dabei fällt mir ein merkwürdiges Symbol auf namens TTS. Neugierig tippe ich drauf. Plötzlich liest eine blecherne Frauenstimme für das ganze Abteil gut hörbar vor, dass meine Hütte ein wenig nach Kuhstall roch und ich Feuer gemacht habe und danach ins Bett gekrochen bin. Während ich panisch versuche, diese Stimme zum Schweigen zu bringen, erzählt sie unbeirrt weiter vom Regen am nächsten Morgen und dass ich erst mal kalt geduscht habe, bevor es lecker Frühstück gab.Mittlerweile sind nun alle im Abteil wach und lauschen interessiert, wie es weitergeht. Erde tu dich auf! Am liebsten würde ich das Ding aus dem Fenster werfen! Endlich finde ich den Ausschalter und bereite der Märchenstunde ein Ende, zu meiner Erleichterung und vermutlich auch der meiner Mitreisenden. Ich mache mich unsichtbar in der Hoffnung, dass das alle ganz schnell wieder vergessen. Währenddessen sind wir schon gut vorangekommen und bewegen uns in Richtung Bayern.
In Lichtenfels steigen meine Tischnachbarn aus. Kurze Freude über den Platzluxus, bis eine sehr schöne junge Frau in Polizeiuniform und ein nicht so schöner Schnösel im Papageienlook sich über die freien Plätze freuen. Der Mann ist folgendermaßen gekleidet:
taubenblaues Jackett, blau/rot/weiß/grün-kariertes Hemd, darunter weinrotes Shirt, Hose in der Farbe von rotem Lehmboden, rote Wildlederschuhe mit heller Sohle und blauen Schleifen. Mut zur Farbe! Dani hätte ihre Freude an diesem Anblick. Wir fahren gerade vom Sonnenschein hinein ins schlechte Wetter. Ich hoffe, dass es die Grenze zu Österreich respektiert!
Der Zug ist auf die Minute pünktlich,  so was gibt es also auch. Ganz gemütlich erreiche ich den nächsten Zug nach Salzburg. Es ist faszinierend, wie sich die Landschaft verändert. Beim Anblick der ersten hohen Berge wandere ich in Gedanken schon los. Ich freue mich schon so darauf, den Gipfeln entgegenzuschnaufen! Und bis jetzt fühle ich mich auch in meinen neuen Wanderschuhen noch sauwohl.
In Salzburg habe ich eine Stunde Aufenthalt. Das ist perfekt, weil ich mir noch eine Fahrkarte für die Weiterfahrt buchen muss.Meinen ersten Impuls, den Automaten anzusteuern ignorierend, nehme ich spontan die Dienste einer Schalterbeamten in Anspruch. Welch weise Entscheidung! Sie gibt mir nämlich den Tipp, dass in zehn Minuten der Postbus fährt, der mich direkt zu meinem Ziel bringt, ohne nochmal umsteigen zu müssen. Hervorragend. So bin ich sogar eine Stunde eher da und kann noch meinen Hamstervorrat für die Woche einkaufen. Ich melde mich telefonisch bei meinen Vermietern, die mich dort abholen wollen.Wie die ganze Anreise klappt auch das perfekt. Ich bin gerade fertig mit einkaufen, als die Schwiegertochter vorfährt. Wir laden alle meine Gepäckstücke ein und ab geht die Post. Vom letzten Jahr sind mir die Straßen noch sehr vertraut. Es ist wie nach Hause kommen. Die Fahrt dauert nicht sehr lange, da die Eseihütte noch im Tal liegt im Gegensatz zum Hüttendorf. 
 
Wir überqueren den Bach auf einer nagelneuen Brücke, an der auch gerade noch die letzten Arbeiten erledigt werden. 
 
Dann noch ein paar Kurven auf einem Feldweg, durch Viehgatter hindurch und wir haben die Hütte erreicht. 
 
Mir bleibt der Mund offen stehen. Ich wusste ja, dass es eine große Hütte ist, aber dass sie so schön und idyllisch ist, hatte ich mir nicht träumen lassen. Vor kurzem wurde auch alles erneuert, so dass z.B. die Terasse, Bänke und Tische aus hellem, duftenden Holz sind. Ich versuche mal, eine Beschreibung zu liefern. Großes Grundstück,  auf dem zwei Häuser stehen, 
 
eine Grillstelle (Lagerfeuer), 
 
ein Brunnen (aushöhlter Baumstamm mit ständigem Zulauf),
 
Tisch mit zwei Bänken, 
 
Klohäuschen mit WC.
 
 
 
Das Haupthaus hat eine Terasse mit Tisch und Bänken, 
 
 
 
zwei Schlafzimmer,  
 
ein Zimmer mit Holzofen, Eckbank, Tisch und Küchenschrank. 
 
 
 
Es folgt ein ehemaliger Stall, darin ein Plumsklo, Holz für den Ofen und allerlei Krimskrams. 
 
Treppe zum Dachboden 
 
 
 
mit 8-Bett-Zimmer und Balkon. 
 
 
 
Das zweite, kleinere Haus hat ein Schlafzimmer und Badezimmer mit Dusche und Waschbecken. Dort steht ein Badeofen,den man beheizen kann für warmes Wasser. 
 
 
 
 
Um das Grundstück herum bewegen sich drei dazugehörige Kühe, die ganz zutraulich sind und mit ihrem Glockengeläut das Alpenfeeling stimmig untermalen.
 
Ich packe meine Sachen aus, mache Feuer und beschließe, einen Abendspaziergang hinauf zum Hüttendorf zu machen. 
 
Ich wusste zwar, dass es noch ein ganzes Stück bis dorthin ist, aber es zieht sich dann doch ganz schön in die Länge. 5 km stetig bergauf. Meine Hoffnung, dass die Hansalhütte noch geöffnet ist, erfüllt sich weithin hörbar. Der Wirt hat wieder sein Akkordeon und die Teufelsgeige am Wickel und schmettert mit seinen Gästen Volkslieder. 
 
 
 
 
 
 
Einer ist so begeistert, dass es ihn nicht auf seinem Platz hält. Er springt auf und fängt an, entfesselt zu tanzen. Eigentlich bin ich kein Fan von Volksmusik, aber hier gehört sie her und klingt einladend . Ich setze mich dazu und werde vom Wirt mit Handschlag begrüßt. Er will noch was sagen, aber ich platze mit meiner Bestellung dazwischen. Er macht den Mund wieder zu, nickt und dreht um. Als er mir dann mein Radler auf den Tisch stellt, nimmt er nochmal Anlauf. „Du warst doch letztes Jahr schon hier! Bist auf den Hochgolling nauf!“ Ich bin baff, dass er mich wiedererkannt hat. Ich berichtige ihn, dass ich nicht oben war, weil ich nicht die passenden Schuhe hatte und zeige ihm meine neuen, nun richtigen Wanderschuhe. Sie werden anerkennend abgenickt. Er macht weiter mit seinen Späßchen, alle amüsieren sich. Ich verstehe nur Bahnhof, aber das ist egal.Als ich erzähle, dass ich in der Eseihütte bin, ernte ich ungläubiges Staunen. „Ganz alloah?“ Wir unterhalten uns dann alle übers Wandern, was der Wirt zum Anlass nimmt, mich als tauglich, weil stämmig einzustufen. Danke! Das baut auf. Als mein Radler alle ist, verabschiede ich mich, was alle offensichtlich ungehörig finden. Ich entschuldige mich mit meinem langen Heimweg und dass ich nach der langen Anreise müde bin. Der Wirt winkt ab und wirkt beleidigt. Egal, ich muss ins Bett.

Sonntag, 13.07.14
Ich habe mir keinen Wecker gestellt und lasse es drauf ankommen, wann ich wach werde. Das passiert um 9 Uhr. Die Augen noch geschlossen, weiß ich sofort, wo ich bin. Der Bach unten vor der Hütte rauscht, die Kuhglocken bimmeln leise. Ich stehe auf, mache erst mal Feuer, denn sonst gibts keinen Kaffee. Den Badeofen zu beheizen, bin ich zu faul. Die Konsequenz lautet: kalt duschen. Aber das macht mir nichts aus. Danach fühlt man sich so frisch und straff! Nach dieser Art von Wachrütteln schmeckt das Frühstück besonders gut. Natürlich draußen. Ich blicke auf die Hütte und die herrliche Landschaft, neben mir die Kühe. So ist das Leben schön! Ich telefoniere mit Max, meinem Cousin zweiten Grades (oder Großcousin?), der mich mit seiner Frau ab Mittwoch besuchen will. Und schon ist es 12 Uhr. Nun aber ab in die Berge! Gerade, als ich loslaufe, fängt es an zu regnen. 
 
 
Aber das macht nichts, habe ja meine tolle Regenjacke. 
Glücklich nehme ich mein Zuhause für die nächste Woche von der Straße aus in Augenschein.
 
Noch planlos, suche ich nach einem Weg und finde einen Wegweiser zur Gensgitsch-Hütte. 
 
Zweieinhalb Stunden, steht am Ausgangspunkt darauf. Es beginnt harmlos. An einer Kreuzung laufe ich erst einmal den falschen Weg weiter, merke das nach ca. einer halben Stunde, als er plötzlich endet. Kehrt marsch! Der richtige Weg biegt nach 1 km ab, wie zu erwarten, steil nach oben. Und so bleibt das auch. 
 
Die Verschnaufpausen erfolgen in immer kürzeren Abständen, aber wenn mich der Ehrgeiz erst mal gepackt hat, gibts kein zurück. In weniger als der angegebenen Zeit bin ich schließlich oben an der Hütte, die allerdings nicht zugänglich ist. Aber dort hängt ein Schild: Gensgitsch-Höhe 1,5 Std. Eigentlich reicht es mir für heute mit dem Hochklettern, aber nun bin ich schon mal so weit gekommen, da wäre es doch albern, jetzt nicht noch bis ganz hoch zu laufen. Also los. Es ist im Prinzip eine schräge Hochebene, durch die sich ein steiler Pfad schlängelt. 
 
 
 
Ich habe jetzt 800 Höhenmeter bewältigt und befinde mich auf einer Höhe von rund 2000 m. Ich merke, dass es mir ab und zu schwindlig wird, aber so kurz vorm Ziel gebe ich doch nicht auf! Jetzt wird es immer dunkler und stiller. Merkwürdige Stimmung. Der Berg flößt Respekt ein. Der Blick zurück offenbart einen überwältigenden Ausblick auf mehrere Dörfer gleichzeitig, die klitzeklein ganz weit unten liegen. Wie ein Blick aus dem Flugzeug. 
 
 
Und nun werde ich doch zur Umkehr gezwungen. Eine Nebelwand kommt mit hoher Geschwindigkeit aus dem Nichts auf mich zu. Jetzt siegt die Vernunft. Ich renne fast die Hochebene hinunter. Nichts wäre schlimmer, als im Nebel die Orientierung zu verlieren. 
 
Nun geht es nur noch bergab. Meine Beine schlottern, das ist unglaublich anstrengend,  vor allem in dem Tempo. Ich staune, welch lange Strecke ich nach oben gekraxelt bin. Kommt mir abwärts viel länger vor. Gegen 19 Uhr bin ich wieder in meiner Hütte, ziemlich erschöpft. Aber meine Schuhe, die mir in Berlin beim Einlaufen solche Probleme bereitet haben, funktionieren tadellos. Vor der Haustür liegen Handtücher,  die mir noch gebracht worden sind. Obenauf ein Sträußchen Blumen. 
 
Ich mache Feuer, koche mir eine Suppe und lasse den Tag ausklingen. Ich staune über den Suppenteller, der sehr ostig aussieht und es bei näherem Betrachten auch ist. Auf wundersame Weise hat Kahla-Geschirr den Weg in die österreichischen Alpen gefunden.
 
Montag, 14.07.14
Um 7 Uhr habe ich ausgeschlafen, finde es aber noch viel zu zeitig zum Aufstehen. Um 9 hält es mich aber nicht mehr länger im Bett. Zunächst muss Feuer gemacht werden (Kaffee), und auch den Badeofen beschließe ich zu heizen. Kann ja nicht schaden, sich auch mal warm zu waschen. Allerdings wurde mir eingeschärft, ihn nicht über 60 Grad hochzutreiben. Schwer einzuschätzen,  denn wenn das Holz erst mal brennt, gibts kein zurück. Inzwischen kocht das Wasser. Ich brühe gleich zwei Tassen auf und stelle eine in das Warmhaltefach des Ofens. Man wird erfinderisch und lernt praktisch zu denken, wenn man für alles selber sorgen muss. Gute Survival-Schule. Frühstück wieder an der etwas erhöht stehenden Bank, 
 
von der ich meinen befristeten Besitzerstolz über das Anwesen und die Landschaft genießen kann.
Noch unschlüssig,  wo ich heute hinwandern möchte, mache ich mich einfach auf den Weg und überlasse das dem Zufall. 
Wie immer, muss ich mir auch heute den Weg mit zutraulichen Kühen teilen.
 
Auch andere seltsame Wanderer begegnen mir:
 
Ich folge einem ausgeschilderten Weg, der mich schließlich wieder  auf den gleichen Berg wie gestern führt. Gar nicht so verkehrt, denn gestern abend habe ich beim Ausräumen meiner Tasche gemerkt, dass 15 € fehlen, die mir offensichtlich unterwegs rausgefallen sind. Vielleicht finde ich sie ja wieder? Also auf ein Neues, den Berg nach oben! Es fängt an zu regnen, aber meine bewährte Regenjacke schützt mich gut. Schnaufend steige ich bergan, von Geld keine Spur. Aber vielleicht schaffe ich es heute, bis auf den Gipfel zu kommen. Fast dort angekommen, wo ich gestern vorm Nebel geflüchtet bin, sehe ich plötzlich versteckt unter einem Baum einen Mann sitzen. Gleich kommen mir Gedanken wie: der wird mir doch nichts tun? Hier oben in dieser Einsamkeit? Ich lasse mir nichts anmerken, grüße freundlich und klettere weiter nach oben, den Blick gesenkt, denn eventuell liegt ja doch noch irgenwo mein Geld. Ungefähr an der gleichen Stelle wie gestern drehe ich mich um und sehe doch tatsächlich wieder so eine Nebelwand auf mich zuwabern! 
 
 
Es soll eben nicht sein, dass ich bis zum Gipfelkreuz komme. Der Nebel flößt mir zu viel Respekt ein, um meinen Ehrgeiz hier auf Teufel komm raus auszuleben. Nun muss ich allerdings wieder an dem merkwürdigen Mann vorbei, der dann wirklich auf mich zukommt. Meine Befürchtung erweist sich als absolut lächerlich. Es ist ein ganz netter, alter Mann, drahtig, mit wettergegerbtem Gesicht, der mir erzählt, dass er zwei seiner Pferde sucht, die dort oben sind. Sein Sohn ist schon vorausgegangen und hat sie gefunden. Er wartet hier auf Sohn und Pferde. Natürlich will er auch wissen, was ich denn so mache, wo ich herkomme und wo ich untergebracht bin. Das übliche Staunen, dass ich ganz allein hier Urlaub mache. Wir verabschieden uns freundlich und ich steige weiter hinab. Den Weg kenne ich ja nun schon sehr gut. Als ich ganz unten bin, sehe ich im Gras was schimmern. Mein Geld!! Wie schön! Da liegen sie ganz brav und nass, meine 15 €.
 
Dienstag, 15.07.14
Als ich vors Haus trete, ungewaschen, noch etwas verquollen, im schicken Unterwäsche-Outfit, steht mir ein Mann gegenüber. Schreck, lass nach!  Er stellt sich als der Hüttenbesitzer vor, der mal nach dem Rechten schauen wollte. Was solls, ich will ihn ja nicht heiraten, also halten wir ein Schwätzchen, als wäre es das Normalste von der Welt. Er empfiehlt mir eine Wanderung zum Gumma, einem Berg direkt über meiner Hütte. Wenn man genau hinschaut, sieht man ganz winzig klein das Gipfelkreuz.
 
Der Berg ist 2365 m hoch, meine Hütte liegt bei 1285 m. Also knapp 1100 m Höhenunterschied.  Aber das ist doch kein Hinderungsgrund für mich! Aufi gets! Zunächst muss ich ein ganzes Stück ins Dorf zurück,  bevor es bergauf geht. Nach ein paar Kehren habe ich schon die Nase voll. Warum ist bergauf laufen nur so anstrengend? Gott sei Dank weiß ich nicht, was mir noch bevorsteht. Irgendwann finde ich ein Schritttempo, das ich durchgehend beibehalten kann, einen Fuß vor den anderen, es ist fast wie ein Mantra. Die Gedanken reduzieren sich aufs Gehen, alles andere wird aus den Gehirnwindungen verbannt. Nach zwei Stunden komme ich auf einer Hochebene an, wo mehrere Hütten stehen, ein gekreuzigter Jesus hängt und Kühe in allen Farben gemütlich von hier nach da schlendern. 
 
 
Ich plumpse auf die Bank unter Jesus und mache Pause. 
 
Die wunderbare Aussicht gibt den Augen viel Beschäftigung.
 
Von hier aus ist das Gipfelkreuz des Gumma schon deutlicher zu sehen, aber immer noch anstrengend weit weg. 
 
Meine Beine sind zwar wie Gummi, aber ich bin der Meinung, auch mit Gummi schafft man es zum Gumma! Hochmotiviert starte ich nach einer halben Stunde durch, nicht ahnend, dass jetzt die eigentliche Herausforderung kommt. Zweieinhalb Stunden steiniger Kraxelpfad, auf dem nochmal 500 Höhenmeter zurückzulegen sind. 
 
 
 
Wenn man hochschaut, sieht man immer ein Stück Weg bis zum Horizont und denkt: gleich habe ich es geschafft! Doch wenn man dort angekommen ist, ist das vermeintliche Ziel genauso weit weg wie vorher. 
 
Aber aufgeben gilt nicht!  Als dann das Kreuz dicht vor mir auftaucht, bin ich so stolz auf mich. Der sich mir eröffnende Rundumblick ist mit nichts zu vergleichen!  
 
 
 
 
 
 
 
Die Berge und Täler sind weithin einsehbar, die Dörfer bunte Flecken inmitten grüner Wiesen. Ich versuche, diesen Anblick zu speichern, trage mich ins Gipfelbuch ein und lasse mich von einem anderen Gipfelstürmer fotografieren. 
 
 
 
Und nun muss ich ja auch wieder runter. Im Gipfelbuch steht, dass man den Berg erst bezwungen hat, wenn man wieder unten ist, bis dahin gehört man dem Berg. Mit weichen Knien komme ich in Göriach an, wo mich der Sohn des Vermieters aufgabelt und zu meiner Erleichterung bis zur Hütte fährt. Ich lasse den Abend am Lagerfeuer ausklingen 
 
und falle um 22 Uhr in den Tiefschlaf.
 
Mittwoch, 16.07.14
Heute ist Ruhetag. Die Sonne scheint, und ich beschließe,  die Solarzellen meines Körpers aufzuheizen. Ich baue mir auf der Terasse eine gemütliche Liegefläche und schlafe sofort wieder ein. Geweckt werde ich von einem Pfiff. Ich tauche auf in die Wirklichkeit und sehe mich dem Bergführer gegenüber,  mit dem ich letztes Jahr die Hochgollingtour geplant hatte. Hier ist es so, dass man nicht unerkannt abtauchen kann, und Zäune sind nur dazu da, das Vieh abzugrenzen. Wieder so eine peinliche Situation wie gestern, aber auch heute nur meinerseits. Ich tue so, als ob das selbstverständlich ist, dass da plötzlich jemand steht. Wir vereinbaren, zu telefonieren, da heute meine Verwandtschaft aus München anreist und sie vielleicht auch die Tour machen wollen.
Mittags schlendere ich mit meinen technischen Geräten zum Hotel Bauer, in dem die Friedrichs übernachten, warte dort auf ihre Ankunft und lade die Akkus auf. Gemeinsam gehen wir zurück in meine Hütte, ich zeige ihnen mein Schloss mit Besitzerstolz. Wir planen die morgige gemeinsame Wanderung zu den Landawierseen, plaudern noch ein bisschen über gemeinsame Vorfahren, Dialiekte, die DDR und vieles mehr. Während sie sich auf den Heimweg machen, heize ich ein (abends wird es kühl) und packe mein Bündel für morgen.
 
Donnerstag, 17.07.14
Heute bin ich vorbereitet auf den allmorgendlichen Männerbesuch. Ordentlich gekleidet, gecremt und frisiert, trete ich unerschrocken auf die Terasse, gespannt, wer mich wohl heute besucht. Doch mir blicken nur drei neugierige Kühe entgegen, die sich dann aber sofort wieder gelangweilt ihrem Fressrausch hingeben. Mittlerweile kennen sie mich und haben mich offensichtlich mental in die kleine Herde integriert. Nun gut, allzu groß ist meine Enttäuschung dann auch nicht und ich widme mich den nötigen Arbeiten wie Feuer machen, Asche entsorgen, duschen, frühstücken.  Um 8.30 Uhr mache ich mich auf den Weg zum Hüttendorf, wo ich mich mit Max und Freundin Christine zum Ausgangspunkt unserer Wanderung zu den Landawierseen treffen will. Die beiden kommen mit abenteuerlichen Fahrgelegenheiten per Anhalter hinterher, nämlich z.B. in der Baggerschaufel eines Traktors. Am Tag vorher kam ich auf die geniale Idee, den Hansalwirt, dessen Haus direkt gegenüber des Hotels von Christine und Max steht, zu fragen, ob er die beiden nicht mitnehmen kann, wenn er hoch zur Hütte fährt. Wir sahen ihn auf seinem Hof an einem Traktor werkeln und gingen auf ihn zu. Er strahlte mich an: „Griaßi, Rrrenatte! Wos gits?“ Er meinte, es wäre koan Prroblemm, seine Muatta könne um nein Uar in derer Früh die boaden mitnemma. Diese Verabredung ist dann aber heute morgen geplatzt, so dass meine Mitwanderer erfolgreich andere Möglichkeiten nutzen. Ich warte bei einer Tasse Kaffee in der Hansalhütte, wo ich am Samstag schon mal war. Zu mir setzen sich tiefgebräunte Radfahrer fortgeschrittenen Alters, die mich kurz vorher bei meinem Aufstieg überholt haben.  Hier setzt man sich nicht an getrennte Tische. Sie bestellen Buttermilch, die so lecker aussieht, dass ich mir auch ein Glas bestelle. Max und Christine, die mittlerweile angekommen sind, auch. Frisch gestärkt gehts dann los, den Bergseen entgegen. Da Christine eine Gewitterphobie hat und es in der Ferne tatsächlich danach aussieht, kehrt sie wieder um, beteuernd, dass wir ruhig weiterlaufen sollen, sie werde schon zurechtkommen. Also ächze ich mit Max alleine weiter hoch, bis es anfängt zu regnen und der Himmel keine Hoffnung ausstrahlt, dass es demnächst wieder aufhört. Ich wäre ja unbeeindruckt weitergestiefelt, aber Max, der immer sehr vernünftig ist, plädiert für Umkehr. Ich will jetzt eben auch nicht so exaltiert aus der Rolle fallen und gebe mich einsichtig. Ca. zehn Minuten später werfe ich gewohnheitsmäßig einen Blick zurück, strahlend blauer Himmel lacht mich an. Wir zögern nicht lange, sondern wechseln abermals die Richtung und steigen wieder hoch. So kann man den Weg sportlich verlängern. Ich kenne ihn ja schon zur Genüge vom letzten Jahr, es ist nicht gerade ein Spaziergang.  Aber das Ziel lockt, und das heißt zunächst: Einkehr in der bewirtschafteten Landawierseehütte. Wir bestellen Getränke und ich noch Frankfurter Würschtel mit Senf. Die geriebene Käsebeilage treibt mir Tränen in die Augen und stellt sich spürbar als Meerettich heraus. Max holt aus den Tiefen seines Rucksacks gekochte Eier, Käse, Bananen, belegte Brötchen und vieles mehr, erkundigt sich aber, ob er das hier verzehren darf. Darf er. Später entdecken wir auf der Speisekarte Heidelbeer-Kaiserschmarrn und können nicht widerstehen. Am Nachbartisch wird unserer Bestellung ebenso entgegengefiebert, weil nach deren Begutachtung entschieden werden soll, ob sie auch dem Appetit das Feld überlassen werden. Auch hier werde ich übrigens wiedererkannt und mit einem strahlenden Lächeln begrüßt „Grias Gott! Wie getts? Du woast letztes Johr drunten in der Schöberlhüttn, gel? I hob doch gleich gdocht, dass i di kenna!“ So ist das hier überall, es ist wie nach Hause kommen.
Wir brechen dann auf zu den beiden Seen, die hinter der Hütte liegen. Um einen Blick auf beide Seen gleichzeitig werfen zu können,  müssen wir nochmal ganz schön Höhenmeter schrubben, da der zweite See oberhalb des ersten liegt. 
 
 
 
 
Und tatsächlich liegt dort, in fast 2100 m Höhe noch eine dicke Schneekante an Ufer. Ich baue einen kleinen Schneemann, so viel Zeit muss sein. Es ist einfach eine wunderschöne, malerische Kulisse, voller Ruhe und Erhabenheit.
 
 
 
 
Um Christine im Hüttendorf nicht unnötig warten zu lassen, verlassen wir den wunderschönen Ort und beginnen den Abstieg, der einem, egal wo, immer länger vorkommt. Christine ist aber mittlerweile schon aus dem Hüttendorf weiter hinab ins Hotel gelaufen. Wir trinken noch was, essen einen der gerade frischgebackenen Krapfen und warten auf den Tälerbus. Der Busfahrer freut sich über uns einzige Fahrgäste und lässt mich sogar direkt an meiner Eseihütte aussteigen. Auf dem letzten Stück Weg begrüßen mich meine drei Kühe mit der gewohnten Gelassenheit. Nach den üblichen Verrichtungen entscheide ich mich, heute mal wieder ein Lagerfeuer anzuzünden. Bis nach Mitternacht sitze ich dort in Decken gewickelt, mit heißem Tee, Salzstangen und Schokolade, starre ins Feuer und beobachte, wie die Berge ringsum in der Dunkelheit versinken.
 
 
 
 
Freitag, 18.87.14
Wie tags zuvor vereinbart, verlasse ich morgens um 8 Uhr meine Hütte, um zum Hotel Bauer zu wandern. Dort frühstücken Friedrichs und ich gemeinsam, um uns danach ausgeschlafen, gestärkt und hochmotiviert für mich ein zweites Mal dem Gumma, meinem 2365 Meter hohen Hausberg zuzuwenden. Ganz gemächlich bewegen wir uns vorwärts,  was mir anfangs ungewohnt vorkommt, später aber als ideales Schritttempo zugute kommt. Letztendlich kommen wir genauso gut voran. Die Wildbachhütte, zu der wir immerhin schon  600 Höhenmeter zurückgelegt haben, ist ein ideales Pausenziel. Eine herrliche Aussicht bietend, versorgt sie die ausgepowerten Wanderer mit Köstlichkeiten aus der Region. Vorgestern bin ich daran vorbeigelaufen und gleich zum Gipfel gekrochen, heute bestelle ich mir eine leckere Kasknödelsuppn. Christine ist sich nicht sicher, ob sie uns weiter nach oben begleitet, wir können sie aber zu dem Versuch überreden. Mit dem Erreichen der Baumgrenze ist auch ihre Grenze erreicht. Sie steigt zur Hütte ab und wartet dort auf uns. Max und ich haben mit Sicherheit keine bessere Kondition, sind aber ehrgeiziger. Es gilt nun, auf kurzen, steilen und steinigen Serpentinen nochmal 500 Höhenmeter zurückzulegen. Vorgestern brauchte ich dafür 2,5 Stunden, heute 1,5, weil ich nicht immerzu stehenbleibe. Ganz oben sind doch tatsächlich auch noch Kühe anzutreffen,  die sich augenscheinlich wundern, was wir in so luftiger Höhe zu suchen haben. Vielleicht bangen sie um ihr saftiges Gras. 
 
 
 
Uns interessiert nur der Ausblick, der auch diesmal unvergleichlich gewaltig ist. Sogar der Großglockner ist zu erkennen, und natürlich meine winzige Hütte tief unter uns. 
 
 
 
Der nicht ungefährliche Abstieg (eine Frau meinte, man muss aufpassen, dass man sauber tritt) geht wieder sehr zu Lasten der Kniegelenke. Wir wanken in die Wirtschaft zu Christine, erfrischen uns mit einem Getränk (frische Buttermilch-oberlecker!) und kommen auf die später bereute Idee, einen anderen Weg zurückzugehen, nicht ahnend, dass er wesentlich länger ist. Meine Wanderschuhe haben sich ja trotz gegenteiliger Befürchtung hier sehr bewährt,  aber jetzt ist der Betonklotz-Status erreicht. Schlurf, schlurf schleppen wir uns vorbei an fleißigen Bauern, die Heu einfahren, werden fast immer angesprochen, ob wir vom Gumma kommen. Große Anerkennung kommt uns zuteil, weil wir wirklich den längstmöglichen Weg genommen haben. Am Hotel verabschieden wir uns. Essen will ich dort nicht, ich habe nur noch ein Bedürfnis: Schuhe aus! Die Bauersche Speisekarte bietet außerdem wohl nur Riesenportionen Fleisch.
Wie es der Zufall will, gabelt mich wieder der Vermietersohn auf und fährt mich zu meiner allergrößten Freude zur Hütte. Er war sowieso dorthin unterwegs, weil er nach dem Wasser für die Kühe schauen will. Kaum habe ich meine Wanderschuhe abgestreift, geht es mir wieder besser. Ich packe meine Sachen, räume auf, mache sauber, heize nochmal gut ein, auch den Badeofen, weil ich morgen früh dafür keine Zeit haben werde. Ich bin ein bisschen traurig, weil das der letzte Abend im Paradies ist.
 
 
 
 
 
Samstag, 19.07.14
Ich hatte natürlich Angst, zu verschlafen, aber alles hat geklappt. Wie vereinbart,  werde ich um 7 Uhr von der Schwiegertochter abgeholt. Ein letzter wehmütiger Blick auf mein Refugium, dann gehts los. Unterwegs sammeln wir die Friedrichs ein. Ich verabschiede mich von der netten jungen Frau bis vielleicht nächstes Jahr. Der Postbus bringt uns nach Salzburg, wo wir 3 Stunden Aufenthalt haben. Die nutzen wir für eine kleine Stadterkundung. 
Kurz durch die Altstadt, 
 
die wegen der gerade beginnenden Salzburger Festspiele überbevölkert ist mit aufgerüschten Schönen und Reichen. Auch die Auslagen in den Geschäften sind dem natürlich angepasst. 
 
 
Aus einer Buchhandlung, wo ich mir ein österreichisch-deutsches Wörterbuch kaufe, pfeift mich Christine in Anbetracht unserer knapp bemessenen Zeit wieder raus. 
Hier das Geburtshaus von Mozart:
 
Ein Klingelzug:
 
Wir geraten mitten in einen Wochenmarkt mit so vielen appetitlichen Angeboten, dass wir trotz Aufbietung aller Willenskraft hemmungslos zuschlagen.  Zum Schluss wandern wir auf einem Rundweg oberhalb der Altstadt und haben von dort einen guten Blick über die Stadt, 
 
 
erfrischen uns in der Stadtalm 
 
und laufen zum Bahnhof zurück, wo ich mich in Anbetracht der Hitze noch komplett umziehe. In München trennen sich unsere Wege. Meine Reise dauert nun noch 6,5 Stunden.
Aus die Maus.