
Auf dem Gehwegpflaster kurz vor der Bibliothek hat jemand eine Botschaft für vegane Ernährung hinterlassen, die aber der Regen gnädigerweise schon ziemlich unleserlich gewaschen hat. Ich habe ja nichts dagegen, wenn man sich für diese Lebensweise entscheidet, aber man sollte auch seinen Mitmenschen die Wahl lassen, ob sie Fleisch essen oder nicht:
In de Bibliothek laufen die Vorbereitungen für Montag auf Hochtouren. Im Foyer des Freizeitforums gibt es schon ein Einbahnstraßen-Wegeleitsystem.
Auch innerhalb der Bibliothek gibt es von Tag zu Tag Fortschritte. Stühle sind weggeräumt, die Plexiglas-Spuckschutzwände werden morgen aufgebaut, alle Computer sind ihrer Tastaturen beraubt, die Tageszeitungen sind nicht frei zugänglich. Desinfektionsmittel, Handschuhe und Mundschutz sind ausreichend vorhanden.
Der Einsatzplan ist fertig, Details geklärt. So dürfen z.B. nur 30 Personen rein, Kinder unter 10 Jahren in Begleitung der Eltern, es besteht Maskenpflicht für alle. Wir dürfen nicht mit den Kunden zusammen zum Regal, alle sollen sich so kurz wie möglich aufhalten. Ich glaube, die Arbeit wird mir unter diesen Vorgaben keinen Spaß mehr machen. Aber darum geht es jetzt auch nicht, Hauptsache, wir können wieder öffnen. Tröstlich ist es, dass die Arbeiten auf dem Dach kontinuierlich voranschreiten und bessere Zeiten versprechen: Die Corona-Gesamtsituation ist sehr gut, heute hat RKI-Chef Wieler sogar gelächelt. Durch die vielen Lockerungen haben die Menschen das Gefühl, dass jetzt alles wieder normal wird. Aber es wird eine zweite und dritte Infektionswelle vorausgesagt, die dieser trügerischen Sicherheit gleich wieder einen Fußtritt verpassen. Keiner weiß, was kommt und man darf nicht in die Argumentationsfalle tappen, dass die ganzen Maßnahmen nicht nötig gewesen wären. Vermutlich geht es vergleichsweise ruhig zu in Deutschland, eben weil diese Maßnahmen getroffen wurden. Ich widme mich heute noch dem Einrichten von 13 iPads für die Bibliothek Kaulsdorf Nord. Wie immer dauert das länger als geplant, aber mit viel Geduld werde ich es schaffen, denke ich.

Es werden Bodenmarkierungen geklebt, Plexiglaswände aufgestellt und geputzt, in der Kinderbibliothek gibt es komplette Umräumaktionen. Die Hobbykünstlerin Elke Krause verschönt mit ihren Bildern die Wände.
Ich bin immer noch mit den iPads beschäftigt und nehme sie mit nach Hause, da die Konfiguration mit dem öffentlichen WLAN in der Bibliothek nicht funktioniert. Auch andere Dinge beschäftigen mich, z.B. die Umwandlung einer mp4-Datei in mp3 für unseren Podcast. Man wächst mit seinen Aufgaben! Der Autor Holger Siemann hätte eigentlich am 14. Mai bei uns gelesen und hat mir nun als kleinen Ersatz dafür eine Lesung auf Video geschickt. Heute macht sich auf dem Nachhauseweg sehr deutlich bemerkbar, dass die Lockerungen zunehmen. Sonst begegnete einem nur hin und wieder ein Auto, doch jetzt steht man schon mal 1-2 Minuten am Straßenrand, bevor man rüberkommt. Ich muss gestehen, dass ich in solchen Momenten ein bisschen wehmütig den vergangenen Wochen nachtrauere. Besonders erfreue ich mich aber an meinen Balkonblumen, die den Winter überlebt haben und nun üppig blühen:
Jedenfalls sind wir alle nun gut gerüstet für den Montag und auch ziemlich aufgeregt. Keiner weiß, was auf uns zukommt. Werden wir überrannt? Verhalten sich alle vernünftig? Ich habe auch ein paarmal Dienst als “Türsteher” und denke, dass es dort am intensivsten wird. Vor allem muss auch ich dann einen Mundschutz tragen. Vermutlich wird die Maskenpflicht als letztes aufgehoben und ich werde wohl noch lange laufen können!
Am nächsten Tag erkunden wir bei einem Spaziergang unsere neue Zweitheimat. Schauen wir mal. Vielleicht werden wir tatsächlich Datschenliebhaber. Wenn wir ein bisschen Grund reingebracht haben, ist vielleicht auch mal Zeit zum Genießen. Aber vielleicht wird das Grundstück auch schnell zur lästigen Pflicht, dann können wir ja wieder kündigen. Es ist ein Experiment, aber ein schönes.
Ab und zu kam mal der Gedanke an Montag auf. Die Ungewissheit, wie wir die Situation meistern werden und was auf uns zukommt, macht mir zu schaffen. Und nicht nur mir!
Auch den Rückweg gehe ich wieder zu Fuß und immer noch bereitet mir das Vergnügen. Es ist ziemlich kalt, aber trotzdem tut es so gut, tief durchatmen zu können und das satte Grün tut sein Übriges.
Die Kastanien geben alles, um die Aufmerksamkeit der Insekten auf sich zu ziehen und nebenbei auch die der Flaneure. Der erste Öffnungstag war dann doch nicht so dramatisch wie befürchtet. Die Leute waren größtenteils sehr nett und einfach froh, wieder die Bibliothek nutzen zu können. Fast alle setzen auch ganz brav und automatisch den Nasen- und Mundschutz auf. Die zwei Stunden an der Eingangstür zogen sich zäh hin, denn man steht einfach nur da, reicht die Körbe zu und achtet darauf, dass sich alle entsprechend der Vorschriften verhalten. Aber unsere Besucherinnen und Besucher wissen die persönliche Begrüßung zu schätzen und hin und wieder kommt auch ein kleiner Plausch zustande. So bot mir einer unserer sehr lieben und älteren Stammleser an, mich mit nach Hause zu nehmen, äußerte dann aber Bedenken, da seine Frau einen leichten Hang zur Eifersucht habe und wir dann besser doch beide verzichten müssten. Wir lachten beide und er verabschiedete sich mit dem Satz: “Mit Maske sehen Sie noch schöner aus!” Ich fasse das mal als Kompliment auf. Grundsätzlich empfinde ich die Gesichtsbedeckung immer noch als anormal. Viele haben sich daran gewöhnt und machen teilweise einen Kult daraus, aber wenn alle so verhüllt sind, hat das für mich etwas Bedrohliches. Es signalisiert: Komme mir nicht zu nahe, ich bin gefährlich, ich will nichts mit dir zu tun haben. Die Mimik ist kaum noch zu erkennen, die Menschen werden so einheitlich, dass persönliche Interaktion kaum möglich ist. Ich spüre, dass diese Abwehr tief in meinem Inneren festsitzt und das eine der seltenen Schlechtes-Bauchgefühl-Situationen ist, denen auch mit Vernunft nicht beizukommen ist. Die Corona-Fälle werden dramatisch weniger (das hat bestimmt mit den Masken zu tun!) und ich spare mir deswegen weitere statistische Berechnungen. Die Entwicklung ist sehr erfreulich, aber natürlich gibt es noch lange keine Entwarnung. Und nun noch was Schönes. Zum Beethoven-Jahr hat eine meiner Kolleginnen wieder ein Kunstwerk erschaffen, das nun die Musikbibliothek schmückt. Ich bin voller Bewunderung für diese Fleißarbeit:
15. Mai. Und schon sind wieder vier Tage vergangen. Im Prinzip gibt es nichts wesentlich Neues zu berichten. Unsere Bibliotheksbesucher sind sehr diszipliniert, aber man kann sie in zwei Kategorien einteilen. Die Mehrheit folgt brav den Anweisungen und nimmt die Gegebenheiten so hin, wie sie sind. Die anderen sind geradezu panisch davon besessen, alles zu desinfizieren und schrecken vor dem Korb zurück, denen man ihnen zureicht. Der Ansturm bleibt nach wie vor aus, unsere 30 Körbe waren bisher zu keinem Zeitpunkt alle in Benutzung. Vielleicht haben aber auch viele diese Woche noch abgewartet und kommen in der nächsten angestürmt. Man weiß es nicht. Auf RadioEins wurde heute berichtet, dass 52% der Deutschen hinter den Maßnahmen stehen und sie nach wie vor für angemessen halten. Der harte Kern der restlichen 48% gehört zu denen, die gegen das “Corona-Regime” demonstrieren oder Verschwörungstheorien anhängen wie z.B. der, dass Bill Gates hinter allem steckt. Gestern wurde im Hof des Freizeitforums an dem sich wandelnden Schriftzug “Freiheit – Freizeit” gearbeitet. ich finde das Wortspiel immer wieder sehr originell und vor allem gerade jetzt sehr passend.
Während meiner täglichen Wanderungen lausche ich momentan dem Hörbuch “Herr Sonneborn geht nach Brüssel” und amüsiere mich prächtig. Aber eigentlich ist das gar nicht lustig. Sonneborn ist Europa-Abgeordneter von “Die Partei” und berichtet, was im Europa-Parlament so abgeht, welche Spielchen auch dort gespielt werden und wie verschwenderisch mit Geld umgegangen wird. Manchmal kann man kaum glauben, dass das eben keine Satire ist. Beim Laufen haben auch die Gedanken mehr Bewegungsfreiheit und ich habe spontan die Idee, die in sich ruhende WhatsApp-Gruppe meiner Schreibwerkstatt zu löschen. Schon lange führe ich dort Selbstgespräche, obwohl die Gruppe 43 Mitglieder hat. Zuhause angekommen, verkünde ich den Teilnehmern gleich meinen Entschluss, bevor ich es mir wieder anders überlege. Doch siehe da, es kommen Proteste! Offenbar leben alle noch. Manchmal muss man eben zu drastischen Maßnahmen greifen. Jeden Tag staune ich, dass es immer wieder neue Fotomotive gibt, obwohl ich ja nun schon seit zwei Wochen immer denselben Weg laufe.
Nach einigem Zögern in den vergangenen Tagen habe ich mich heute entschlossen, meine BVG-Karte zu verborgen und auch einen dankbaren Abnehmer gefunden. Ich habe mich jetzt so an meinen Arbeitsweg gewöhnt, dass ich gar keine Lust mehr habe, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen.
Jetzt höre ich “Hâkan Nesser: 11 Tage in Berlin”, gelesen von Dietmar Bär. Es ist so spannend, dass ich meistens nur ungern am Ziel die Stöpsel aus den Ohren ziehe. Niemals hätte ich gedacht, dass ich mal so ein Hörbuchfan werde! In der Bibliothek bleibt es nach wie vor sehr ruhig. Den Leuten geht es bei uns wie im Laden – man fiebert dem Moment entgegen, wo man sich die Maske vom Gesicht reißen kann und ein Aufenthalt ist kein Vergnügen. Solange Maskenpflicht besteht, werden wir auch keine Veranstaltungen durchführen. Allein der Gedanke an ein vermummtes Publikum ist absurd. Und somit verschiebt man die Termine von einem Monat auf den anderen. Zu Hause beschäftige ich mich mit der Aktualisierung der Internetauftritte und der Antragstellung für Fördermittel aus dem Jugenddemokratiefonds. Damit wollen meine Schreiberlinge einen Imagefilm drehen über die Schreibwerkstatt. Finde ich gut, ist schon lange fällig. Eigentlich auch für die Bibliothek. Morgen muss ich mit dem Fahrrad fahren, denn ich habe einen Arzttermin. Zu Fuß dorthin und dann noch zur Bibliothek – das schaffe ich leider nicht. Also habe ich heute erstmal im Keller mein Rad entstaubt und Luft aufgepumpt. Ich bin keine gute Radfahrerin, denn ich habe ständig das Gefühl, anderen im Weg zu sein (was vermutlich auch stimmt) und steige deswegen sehr oft ab und schiebe das Rad. Deswegen bin ich damit nicht wesentlich schneller als zu Fuß.
Auch die “Kinder” rackern sich ab bis zur Erschöpfung. Zufrieden sitzen wir abends am Aztekenofen, blicken stolz auf unser Tagwerk zurück und besprechen motiviert die To-do-Liste der nächsten Zeit. Es gibt allerdings einen kleinen Wermutstropfen. Es gab einen brutalen Überfall auf das Meisenhaus. Wer das wohl gewesen sein mag?
Bei meinen Zebrafinken zu Hause geht es hingegen immer noch sehr friedlich zu, wie man auf dem Foto sieht. Und auch die Kapkörbchen auf dem Balkon scheinen überaus zufrieden zu sein mit ihrem Dasein. Corona spielt momentan in meinem Alltag eine untergeordnete Rolle. Es fühlt sich normal an, zur Arbeit zu laufen (freue mich übrigens schon richtig auf morgen), innerhalb der Familie ist das Virus kaum noch Gesprächsthema und in den Nachrichten deutlich weniger als sonst. Nur die Maskenpflicht und die zunehmenden Corona-Demos machen deutlich, dass wir noch weit entfernt sind von Normalität. Allerdings wurde heute bekanntgegeben, dass Thüringen ab 06. Juni die Maßnahmen zurückschrauben will. Also keine Masken mehr? Vom 01.-05. Juni habe ich Urlaub – der erste in diesem Jahr. Wenn alles gut geht, was ich annehme, werde ich die 5 Tage in der Eifel verbringen, aber vielleicht soll ich auf Thüringen umschwenken? Bodo Ramelow erhält allerdings viel Schelte für seine Pläne, denn auch die deutschlandweiten Restaurantöffnungen haben ja schon Rückschläge gebracht. Abwarten. Der R-Wert liegt heute bei 0,89, die Sterbefallzahlen liegen bei 3% über dem Durchschnitt. Und es wurde erstmals das Corona-Virus in Muttermilch entdeckt. Eine ganz neue Dimension kommt nun mit den neuesten Forschungsergebnissen des RKI ins Spiel. Darin heißt es, dass Viren auch über Aerosole übertragen werden können (durch Sprechen, Ausatmen, Singen) und sich bis zu drei Stunden in der Luft halten. Wenn sich diese Ergebnisse verfestigen, werden auch die Abstandsregeln sinnlos. Doch nun starte ich erst einmal in die neue Arbeitswoche!


Nun muss ich heute mit dem Rad auch wieder nach Hause. Aber dann reicht es erst mal. Zu Fuß macht deutlich mehr Spaß!
Insgesamt war die Bibliothek heute gut besucht und wenn nicht der Mundschutz wäre, könnte man Corona glatt für ein Weilchen ausblenden. Dazu trägt auch bei, dass ich ab Montag eine Woche Urlaub habe und ich mich schon in der Vulkaneifel wandern sehe. Meine täglichen 18.000 Schritte kann ich dort bestimmt noch ein bisschen ausbauen. Wer wisse; möchte, was ich in der Eifel erlebe, kann HIER mitlesen. Solange pausiert dieses Tagebuch .