Bis zum Ende des Monats Februar gab ich mich der Illusion hin, dass danach ein Jahr Corona-Dokumentation seinen Abschluss finden kann. Ja, ich weiß, es war abzusehen. Aber hoffen darf man doch. Jetzt ist es Anfang April und mit vielen Rückschlägen, unzähligen und teilweise wieder verworfenen Beschlüssen und der gefühlt 100. Aktualisierung der Pandemie-Verordnung scheint es auf holprigem Weg doch langsam vorwärts zu gehen. Letzte Woche lag in meinem Briefkasten die Einladung zur Impfung, wie vom Himmel gefallen. Sogar einen Termin konnte ich nach mehrmaligem Versuch online ergattern – zu Himmelfahrt. Wie es aussieht, scheint mir der Himmel gnädig zu sein.


Im Prinzip bestand auch im März mein Alltag aus Homeoffice mit unzähligen Webinaren und Meetings, Vor-Ort-Diensten in der Bibliothek und Hörbuch-Wanderungen nach Hause, auf denen sich mir die immer gleichen Fotomotive in neuem Gewand präsentierten:








Es gab auch Situationen, in denen ich wegen zu viel Gepäck mit der Straßenbahn nach Hause gefahren bin, aber grundsätzlich freue ich mich jedes Mal auf den Heimweg zu Fuß. Allein schon der Gedanke, die Maske – eben vom Gesicht gerissen beim Verlassen der Bibliothek – in wenigen Minuten wieder aufsetzen zu müssen, macht mir die Entscheidung für den Fußweg sehr leicht. Mittlerweile habe ich meine Tour etwas ausgedehnt, um der etwas langweiligen Wegstrecke rund um den U-Bahnhof Cottbuser Platz auszuweichen. Statt vom Wuhlewanderweg Richtung Hellersdorfer Straße abzubiegen, laufe ich weiter bis zur langen Brücke am Umweltbildungszentrum, ab dort entlang der U-Bahn und biege dann in die Kastanienallee ab. Eine Strecke, die in dieser Jahreszeit stellenweise durch finstere Abschnitte führt, aber das stört oder ängstigt mich nicht. Einmal traf ich einen Bekannten, der mit seinem Hund Gassi ging und sich nicht davon abbringen ließ, mich bis vor die Haustür zu begleiten aus Sorge, ich könnte überfallen werden.
Bis auf wenige Tage mit fast sommerlichen Temperaturen lockte das Wetter allerdings nicht ins Freie, bot aber farblich viel Abwechslung:


Ein Wochenende lag mal dazwischen, an dem es so warm war, dass es die isolierten Menschen nicht mehr in ihren Wohnungen hielt und man überall Massen von Sonnenanbetern in Parks flanieren und auch rumliegen sah. Wir entschieden uns für einen Rundgang durch die ebenfalls stark frequentierten Gärten der Welt, auf dem wir den Jüdischen Garten entdeckten.






Noch ist er eingezäunt, aber die Eröffnung steht demnächst bevor. Es erschließt sich dem Betrachter auch nicht auf Anhieb der Bezug zur jüdischen Kultur, dazu sind meines Erachtens Führungen oder Prospekte nötig. Ein bisschen bin ich sogar in das Geschehen involviert, da durch das Umweltbildungszentrum die Frage an mich herangetragen wurde, ob Teilnehmer meiner Schreibwerkstatt dort Aktionen mit Kindern und Jugendlichen durchführen wollen. In dem Zusammenhang brachte eine der Interessentinnen eine Kinderbuchreihe von Beni und seiner vergesslichen Großmutter ins Spiel, die sich mit dem jüdischen Leben auseinandersetzt.

Wir waren davon alle so begeistert, dass ich die Autorin Eva Lezzi und die Illustratorin Anna Adam anschrieb. Diese wiederum sprangen sofort auf den Zug auf und legten binnen kürzester Zeit die Idee und bald auch das Buch vom neuen Abenteuer Benis in den Gärten der Welt vor. Geplant ist eine hybride Buchpremiere in der Bibliothek und später Führungen durch den Jüdischen Garten unter Einbeziehung dieses bezaubernden Buches.
Dass die Kombination von Veranstaltungen vor Ort mit digitalen Komponenten ein erfolgversprechendes Konzept ist, beweisen die begeisterten Reaktionen unserer Fans der Reihe “Schwebende Bücher”. Wir haben im März erstmalig unsere Empfehlungen mit der Kamera aufgenommen und neben dem mittlerweile etablierten Podcast das Ganze auch auf Youtube veröffentlicht. Mit durchschlagendem Erfolg!


Nicht ganz so erfolgreich gestalten sich meine Bemühungen, die Schreibwerkstatt am Leben zu erhalten. Zuarbeiten für ein demnächst erscheinendes Buch muss ich erkämpfen, in Aussicht gestellte Fördermittel, die zwei junge Leute für eine zweistündige Jurysitzung erfordern, drohen daran zu scheitern, der Storytausch mit Franziska Hauser ruht, das Interesse an digitalen Treffen tendiert gegen Null. Ein kleines bisschen Aufmerksamkeit bekam meine Idee, die März-Schreibwerkstatt mit Spielen zu verbringen.



Ca. 10 Teilnehmer konnte ich mit dieser Idee aktivieren, aber sonst sind wir bei unseren Treffen meistens 15-20 Personen. Das deprimiert und desillusioniert mich. Eine wunderbare Gemeinschaft droht zu zerbrechen und ich hoffe sehr auf den Tag, an dem wir die geplante, große Wiedersehensparty steigen lassen können.
Ich kann sie aber auch ein bisschen verstehen, meine Schreiberlinge, denn bei mir zeigen sich langsam auch Corona-Ermüdungserscheinungen. Ich entdecke Verhaltensweisen an mir, die mich durchaus beunruhigen wie z.B. den Verlust von Hartnäckigkeit, die manchmal für das Erreichen bestimmter Ziele erforderlich ist. Oder akute Prokrastination. So ging es mir auch mit diesem März-Blog-Eintrag. Vieles ist mir egal, wofür ich sonst gekämpft hätte. Aber es gibt auch Aufgaben, die keine Vernachlässigung dulden und an denen ich dranbleibe, wie z.B. die beiden Bibliotheks-Podcasts, der monatliche Newsletter, die Pflege der Webseite der Bibliothek. Allerdings zeigen meine Kolleginnen und Kollegen daran wenig bis kein Interesse, auf kleine Bitten um Mitarbeit reagieren nur wenige, nämlich die immer gleichen treuen Seelen, auf die man sich verlassen kann. Hat mich früher diese Mauer des Schweigens immer geärgert, denke ich jetzt: “Dann eben nicht.” Ich suche mir schon Mitstreiter, auch externe. In den letzten Podcast-Folgen habe ich Interviews mit Künstlern und Kooperationspartnern geführt, u.a. mit Lars Kaiser, dem Initiator der Kunstautomaten, von denen auch einer in der Bibliothek hängt.


Manchmal habe ich das Gefühl, zu verwahrlosen. Gerade an Homeoffice-Tagen besteht nicht zwingend ein Grund, sich hübsch anzuziehen, die Wohnung in einen ordentlichen Zustand zu bringen oder sie überhaupt zu verlassen. Es gibt außer Webinaren keine verpflichtenden Termine, wann ich meine Arbeit erledige, bestimme ich. Das kann auch nachts sein. Manchmal durchforste ich stundenlang alle Social-Media-Kanäle ohne nennenswerten Erkenntnisgewinn. Habe ich zwei solche Tage in Folge verbracht, gerate ich bei dem Gedanken, am nächsten Morgen zu einer vorgegebenen Uhrzeit in der Bibliothek sein zu müssen, total ins Schwitzen. Was ziehe ich an? Wann muss ich los? Was wird von mir erwartet? Was muss ich in drei Tagen Anwesenheit schaffen, wofür mir sonst fünf Arbeitstage zur Verfügung stehen? Kann ich das überhaupt noch? Und ganz ehrlich: Manchmal ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass ich Angst vor dem Ende des Lockdowns habe. Dann gibt es soviel nachzuholen, eine lange Warteliste anstehender Veranstaltungen mit dem kompletten Marketing-Programm gilt es abzuarbeiten, Schulklassen werden Schlange stehen! HILFE! Wie soll das zu schaffen sein? Leicht wird es jedenfalls nicht. Ich übrigens auch nicht. Mit sinkender Motivation steigt parallel zum Appetit auf Schokolade mein Gewicht. Ein Teufelskreis.
Zuflucht und etwas Abhilfe bietet hingegen unser Pachtgrundstück. Ende März haben wir bibbernd, aber glücklich die Saison eröffnet und schon wieder einiges geschafft.



Den weiten Anfahrtsweg macht die idyllische Lage auf jeden Fall wett, aber darüber möchte ich trotzdem nicht vergessen, dass es noch andere schöne Orte zu entdecken gilt.
Was ich keinesfalls machen werde: Mit Termin einkaufen oder mich dafür testen lassen. Das Internet ist jetzt mein Universalkaufhaus. Dort muss ich auch keine Maske tragen. Die FFP2-Masken sind mir ein Gräuel und wieder ein Grund mehr, alle dazu verpflichtenden Situationen möglichst zu meiden.
Jetzt habe ich erst einmal vier Tage Urlaub und es tatsächlich geschafft, meinen Balkon frisch zu weißen. Und diesen Eintrag zu schreiben. Nun will ich noch 30 Bücher lesen. Und mich erstmals richtig gründlich auf die nächsten Schwebenden Bücher vorbereiten. Und wandern. Und die Wohnung putzen. Und meinen PC aufräumen… Und… Und… Und…